Nach: "SEEFAHRT gestern und heute", Heinz
Neukirchen, TRANSPRESS Berlin, 1970
Das Seemannslied, das von den Seeleuten
aller Länder bis heute gern gesungen wird, entstand in der
Segelschiffszeit. Als nach der Erfindung des festen Steuerruders die
Segelschiffe immer größer wurden und immer mehr Segel führten,
mussten die notwendigen Manöver des Schiffes, wie das Ankermanöver,
das Brassen und Vorheißen der Rahen, das Bedienen der Segel und der
Pumpen und viele andere Arbeiten durch den vereinten Krafteinsatz
vieler Männer erfolgen. So entstand der Shanty als ein Arbeitsgesang
der Matrosen. Ihre Vorläufer haben die Shanties der Segelschiffe in
den Rudergesängen der Riemenschiffe, und entstanden sind sie aus den
Songs der schwarzen Hafenarbeiter, die in Text und Melodie anfangs
einfach übernommen wurden.
Doch bald schon bildeten die Vorsänger an Bord ihre eigenen Texte, in
denen die schwere Arbeit des Seemannes, seine Erlebnisse an Land sowie
sein Wunsch nach Rückkehr in die Heimat den Mittelpunkt bildeten.
Gerne wurden im Text des Vorsängers die Zustände an Bord des eigenen
Schiffes in immer wieder neuen Variationen gegeißelt, während der
Refrain des Matrosenchores die allgemeine Sehnsucht der Seeleute nach
der Heimat oder der Geliebten ausdrückte. Einer der bekanntesten und
beliebtesten Shanties überhaupt ist der Capstan-Shanty »Rolling Home«.
Capstan ist das englische Wort für Gangspill, das die Matrosen zum
Ankerhieven mit schweren Spillspaken ähnlich einem Karussell drehen
mussten. Ihre große Beliebtheit erhielten diese Shanties durch das mit
dem Ankerhieven aufkommende Heimweh, den Wunsch, nach längerem Seetörn
zurück in die Heimat zu segeln.
Bekannt wurde »Rolling Home« in der
deutschen Fassung »Magelhan« von R. Hildebrandt, der für seinen Text
mit drei Monaten Heuerabzug bestraft wurde. 1888 kam er bei einer
Strandung seines Schiffes ums Leben.
»Magelhan«
Dor weer eenmol een oolen Kassen,
een Klipper namens »Magelhan«,
dor weer bi Dag keen Tid tom Brassen,
det Abends denn wör allens dahn.
Bi Dag dor kunn dat weihn un blasen,
dor wör noch lang keen Hand anleggt,
doch slög de Klock man erst acht Glasen,
denn wör de ganze Plünnkram streckt.
Rolling home, rolling home,
rolling home across the sea,
rolling home to di old Hamborg,
rolling home, dear land, to see.
Dat weer so recht den Ooln sien Freten,
dat gung em över Danz un Ball,
harr Janmaat graad een Pip ansteken,
denn grööl he: Pull in’t Grootmarsfall!
Dat kunn de Kerl verdüvelt seggen,
he jöög uns rüm von Fall to Fall.
Dor kunn man pullen, riten, trecken
un kreeg gewöönlich kenen Toll.
Refrain
Un up den heil’gen, stillen Fridag
geevt middags geie Arftenjüch,
un ok eenmal up’n Buß- un Beeddag,
Dor seed de Kerl, den kennt wi nich,
he harr sik aber böös verrekent,
de Lüüd de seed’n, wie arbeit’ nich.
Dor schraal de Wind ok noch fif Streeken,
wat weer de Kerl dunn gnatterich.
Refrain
Un ok den Groot nicht to vergeten,
dat weer en richt’gen oolen Klaas.
Den kunn de Ool wie’n Buurjung necken,
he leckt ein dorum doch in’n Mors.
An Land, dor kunn he dat weil blasen,
dor praalt de Kerl, ik weet nich wie,
doch fung’t up See mal an to asen,
kreeg he vör Angst de Schiterie.
Refrain
Doch nun mal erst bei Licht bikeken,
weer Kaptein Wortmann lang nich stecht,
harr Smutje mal en Swien afsteken,
transcheer he sölber dat torecht.
Denn kreg’n de Lüüd, dat laat man lopen,
se freiten sik all up de Ti,
se kreg’n de Snuten un de Poten,
un gele Arftensupp dorbi.
Refrain
Drum »Magelhan«, du oole Kasten,
dit Leed sall di een Dankmal sien.
Wenn’t regent, schraapt de Lüüd de Masten.
De Poten kriegt se vun dat Swien.
All Daag dor wörrn de Ends terreten,
wie kunn dat denn ok anners gaan,
de heele Seefahrt de’s bescheten,
toerst de Klipper »Magelhan«.
Refrain
Eine kurze, freie
Interpretation:
Ein anderer bis heute gern gesungener
Shanty ist »De Hamborger Veermaster«, der in Anlehnung an »The Banks
of Sacramento« entstand. Dieser Capstan-Shanty schildert den großen
Goldrun nach Kalifornien Mittte des 19. Jahrhunderts. Ähnlich wie in »Rolling
Home« blieb im Deutschen nur der Refrain erhalten, während der Text
die Zustände an Bord behandelt.
»De Hamborger Veermaster«
Ick heww mol en
Hamborger Veermaster sehn,
to my hoodah, to my hoodah.
De Masten so scheev
es den Schipper sien Been,
to my hoodah, hoodah ho.
Blow, boys, blow for Californio,
there is plenty of gold,
so I am told,
on the banks of Sacramento.
Dat Deck weer von Isen,
vull Schiet un vull Smeer,
dat weer de Schietgäng
eer schönstes Pläseer.
Dat Logis weer vull Wanzen,
de Kombüüs weer vull Dreck,
de Beschüten de löpen
von sülben all weg.
Dat Soltfleesch weer gröön,
un de Speck weer vull Maden,
Kööm geev dat bloß an’n
Winachtsabend.
Un wull’n wi mal seil’n,
ik segg dat jo nur,
denn lööp he dree vörut
un veer werrer retur.
As dat Schipp,
so weer ok de Kaptein,
de Lüüd för dat Schipp
wörrn ok bloß schanghaied.
Gedichte, die die Seefahrt wirklich
erfassen oder dem Leben des Seemanns gerecht werden, sind selten. Einen
echten Hauch von Seefahrt vermittelt Joachim Ringelnatz in seinem
Gedicht »Segler«.
»Segler«
Weiße oder braune
Flügel führen schaukelndes Holz
leise durchs Wasser fort:
Fischer? Lustfahrten nach Laune?
Oder Sport?
Aus dem Hafen lässt sich stolz
ein stattliches Vollschiff leiten,
um draußen vom Klüver bis zum Besan
schweres Tuch auszubreiten
und selbständig dann durch den Ozean
zu gleiten.
Es schwankt eine kleine Stadt im Sturm
unterm Befehl vom Kommandoturm. -
Schaumwirbelnde Wellen springen
um ihre Mauern. - Die See wird wild
und wieder mild. - Es wechselt das Bild
immer neu. -
Die Matrosen singen
und ziehen an Tauen Hand über Hand,
und bringen Schätze von Land zu Land.
Ahoi!
Durchnässte Kleider. - Vereister Bart. -
Viel Arbeit und Wache an Wache. -
Ein harter Beruf in der Segelschiffahrt!
Doch es ist eine ehrliche Sache,
und eine schöne, wenn Meer und Wind
den Seglern gnädig sind.
Pablo Neruda versteht es in
seinem »Arbeiter der Meere«, das den Seemann beherrschende Gefühl der
internationalen Solidarität anklingen zu lassen.
»Arbeiter der Meere«
In Valparaiso luden sie mich ein,
die Arbeiter der Meere: klein waren sie und hart,
und ihre verbrannten Gesichter waren die Geographie
des Stillen Ozeans: waren die Strömung
im Innern der ungeheuren Wasser, ein Wogenmuskel,
ein Schwarm von Meeresflügeln im Sturm.
Schön war es, sie als kleine und arme Götter zu sehn,
halbnackt und unterernährt; schön war es,
sie kämpfen und sich ereifern zu sehen
mit anderen Männern jenseits des Ozeans,
mit anderen Männern aus anderen elenden Häfen,
und ihnen zuzuhören,
sie hatten die gleiche Sprache, Spanier und Chinesen,
die Sprache aus Baltimore und Kronstadt,
und da sie die »Internationale« sangen, stimmte ich mit ein:
eine Hymne kam aus meinem Herzen,
»Brüder«, wollte ich zu ihnen sagen,
aber ich hatte nur zärtliche Liebe, die zum Lied mir wurde:
und die mit ihrem Singen von meinem Munde reichte bis ans Meer.
Sie nahmen mich für ihresgleichen, mit ihren machtvollen Blicken
umarmten sie mich, ohne ein Wort mir zu sagen,
sahen sie mich an und sangen.
Johannes R. Becher gibt in seinem
Gedicht »Das Meer« die Bedeutung des Weltmeeres für den Menschen in
wenigen Strophen eindrucksstark wieder.
»Das Meer«
Durch der Wälder grüne Dämmerungen
wandern wir auf Pfaden kreuz und quer,
und ein fernes Lied ist aufgeklungen,
und es rauscht in unserm Lied das Meer.
Von gar vielen Dingen ist die Rede
abends unter Freunden, von weit her
melden sich Geschichten, aber jede
handelt hier in diesem Land vom Meer.
Denn das Meer steht hinter allen Dingen,
sie durchdringend, und das Meer ist schwer.
Welches Tagewerk wir auch vollbringen - hinter allen Dingen steht das
Meer.
Leuchtend uns umfängt des Meeres Wille,
und ein Traumlied ewiger Wiederkehr
singt das Meer in seiner Meeresstille ...
Hinter allem steht das Meer, das Meer.
Ein sehr schönes Gedicht über
die See ist das Lebenslied der Polynesier.
»Lebenslied der Polynesier«
Wenn du das Meer nicht geschaut hast,
das Meer mit den spielenden Wellen
und schäumenden Wogen im Sturm
und den endlos sich dehnenden Weiten,
verrauschend im All —
Wenn dir das Lied nicht geworden,
von Winden und Wellen gesungen
aus sehnender Tiefe der Flut
und des Meeres vergessenen Fernen,
das Lied von der See —
Schweige! Du hast der Gottheit
erhabenes Antlitz noch niemals
geschaut und ihr Wehen verspürt.
Denn nur Sehnsucht allein darf ihr nahen.
Sehnsucht ist Meer.