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www.seeleute-rostock.de/content/sailorscab/records/14-certificates/dokument14.htm |
| SlR.sd14 [S3.F4] |
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Die wertvollsten Papiere
Wie sie zu erlangen waren und in großen Ehren gehalten
werden
Äquator-, Polartauf-, Weltumsegelungs-,
Lange-Reedezeiten- und Was-sonst-noch-so-Scheine
Mit Hingabe ausgestellt und voller Stolz aufbewahrt - hier eine Auswahl zum
Betrachten
Äquatortaufe
Ausgelassen feierten sie in der Mannschaftsmesse ins neue Jahr,
stiegen irgendwann in die Kojen und fielen in einen schweren Schlaf ...
Plötzlich wurden sie herausgerissen - es war noch dunkel, halb Fünfe
-, zusammengetrieben und achtern in die Segelkoje gesperrt. Da war sie
wieder - die bevorstehende Äquatortaufe! Durch "Gerüchte" an
Bord und sogar fingierte Meldungen in der Bordpresse sollte wohl anständig
Furcht vor diesem Ereignis geschürt werden, bei jenen noch nicht vom
Schmutz der nördlichen Halbkugel gereinigten Fahrensleuten. Aber sie
sanken in ihren Ecken in der Segelkoje nieder und waren irgendwie noch
benebelt. Doch das gefiel den Täufern garnicht! Sie hauten mit einem
Moker auf das Deck über ihnen, und von Zeit zu Zeit warfen sie eine
Pfanne gebratenen Pfeffers in die Segellast. Der Höllenlärm und die
scharfe Luft waren wirklich eine Tortur für die im Dunklen
Eingeschlossenen! Aber das war ja wohl auch der Zweck. - So ging das
weiter bis gegen acht Uhr, als der Dampfer den Äquator überquerte, und
alle an Deck kriechen mussten, um auf allen Vieren "Neptun" zu
begrüßen, den Segen des "Pastors" zu empfangen und gemeinsam
mit wenig Kraft ein Lied zu singen. Nach einigen Anläufen gelang dann
endlich eine der Taufschwadron zusagende Intonation, und sie mussten
alle wieder nach unten. - Nun wurde mit dem Taufritual begonnen, was
sich bei so vielen Täuflingen bis in den Nachmittag hineinzog. Aber der
Krach und der scharfe Geruch in der Segellast waren endlich vorbei, weil
die Täufer nun anderweitig beschäftigt waren. Die ersten Täuflinge
hatten es dann fix überstanden und konnten sich zurückziehen. Die länger
auf ihre Taufe wartenden Täuflinge dämmerten in der Segelkoje vor sich
hin, bis sie an die Reihe kamen. Endlich. Sie wurden mit dem Gesicht in
ein Heringsfass getaucht, bis zum Hals in eine Foolbrass-Tonne gesteckt,
dabei halb geschoren, mussten tränenden Auges durch ein
"Fernglas" (zwei miteinander verbundene, mit speziellem Wasser
gefüllte Bierbuddeln) "nach dem Äquator ausgucken", wurden
beim "Doktor" auf einer "Streckbank" zu Plätzchen
mit Hering (ungenießbar) verordnet, wurden in einer
"Folterbank" gefangen an Zehen und Fingern solange mit Zangen
gezwickt, bis sie ihren Anteil an der abendlichen Taufparty versprachen.
Was selbstverständlich an jeder "Station" genau festgehalten
wurde, zwischen denen die Täuflinge immer nur auf allen Vieren und
singend getrieben wurden. Zum Schluss wurden sie durch einen
Wasserschlauch gejagt, an dessen Ende ein kleines Becken wartete. Das
Wasser war schon nicht schlecht, aber sie wurden untergedükert, und im
letzten Moment vorm Eintauchen wurde ihnen der Taufname zugeflüstert!
Den mussten sie nun auf dem Weg zum "Neptun" zurück immer
noch auf allen Vieren im Kopf bewahren, um ihn diesem Meeresgott zu
nennen. Erst, wenn das gelungen war, gabs von "Neptun" die
Erlaubnis zum Befahren der Gewässer auf der Südhalbkugel, einen kräftigen
Schluck - was tat der gut! -, und nach einem Kuss auf Nixes Zeh: Überstanden!
- Falls der Taufname vergessen wurde, das Ganze noch einmal ... Die Übergabe
der zumeist handgefertigten, wahrhaft kunstwerklichen Taufscheine
(Urkunden) während der "Taufparty" am Abend war der krönende
Abschluss, und alle - Quäler und Gequälte - waren glücklich und
zufrieden. - Zum Initiationsritus "Äquatortaufe",
ABa, Hamburg
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"Diese Zeremonie ist spätestens seit dem
17. Jahrhundert bekannt und gab mitunter Anlass, schlimme Ausartungen
durch Verbot wie 1615 bei der niederländischen Ostindischen Kompanie
oder durch einschränkende Regelungen wie später bei der DSR zu
unterbinden. In jedem Falle handelt es sich darum, einen Menschen in die
Gemeinschaft aufzunehmen, man leitet es von »Hansen« oder auch »Hänseln«
ab. Mutprobe und sich »Einkaufen« spielen bei solchen »Taufen« eine
große Rolle. Es lohnt sich, über diese Rituale nachzulesen. Mutproben,
bei denen der Neuling mehrmals von der Marsrah ins Wasser zu springen
hatte, um unterzutauchen, gab es auf modernen Frachtern nicht mehr. Aber
das mitunter lange Eintauchen ins Wasser war geblieben.
Bis in die siebziger Jahre hinein hatten sich in der DSR-Flotte Methoden
entwickelt, welche im Rahmen des Zulässigen und des guten Geschmacks
lagen. Leider gab es immer wieder »Prozeduren«, welche diese Grenzen
überschritten. Die letzte Anweisung zur »Durchführung von Äquatortaufen
und ähnlichen Handlungen« erschien 1989. ..." - (1) |
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Polartaufe
Die Polartaufe ist ein äquivalentes Ritual von Seeleuten, wenn ein
Besatzungsmitglied oder ein Passagier zum ersten Mal auf See den
Polarkreis überquert, und wurde ähnlich zelebriert. - Nach (2) |
Weltumsegelung
„Um die Welt zu umsegeln, muss ein Schiff von einem Punkt starten
und zum selben Punkt zurückkehren. Es muss alle Längengrade überqueren,
und es muss den Äquator queren. Es kann einige, darf aber nicht alle
Meridiane mehr als einmal queren (also, zwei Antarktis-Umrundungen zählen
nicht). Die kürzeste Strecke (Luftlinie) des Schiffs muss mindestens
21.600 Seemeilen betragen, kalkuliert unter Annahme einer ‚perfekten
Kugelgestalt‘ der Erde.“ - Nach (3) |
Die Urkunden von
Bord
(von 1961 bis 1991 zeitlich aufsteigend
sortiert, Anmerkungen folgen unten.)
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Individuelle Anfertigung für über 50
Leute an Bord mit Temperafarben auf Segeltuch
Keine gleicht der anderen. Was für eine herrliche Erinnerung an
diese Weltreise! |
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*
Obige Urkunden sind von Schiffen der
DSR Rostock bis auf 'MS "Antarcticore", 1974-09-10, Ölsardine
/ HHe *'. |
Zur Abb. 'MS
"Gera", 1965-05-24, Klippfisch / PFr' schrieb Peter Frei:
"Erschreckt bitte nicht, aber ich habe überhaupt überlegt,
ob ich dieses ramponierte Bild zuschicke, das waren aber nicht meine
Enkel! Um diesen Zustand zu erklären, muss ich folgendes erzählen.
Dieser Taufschein zierte schön eingerahmt, aber ohne Glas, in meiner
Kammer auf der MEYENBURG die Wand. Auf der Indientour legte ich mir
einen kleinen Papageien zu (Pflaumenkopfsittich), der ziemlich zahm war,
so dass er frei in der Kammer umherfliegen durfte. Eines Tages komme ich
in meine Kammer und sehe mit Entsetzen den Zustand meines Taufscheines!
Übrigens fertigte ich als Ungetaufter ungefähr 15 Stück von diesen
Exemplaren zusammen mit dem Schiffsarzt an. Ich war für das grafische
und der Doc für das übrige Bild wie das Outfit des Papiers (um es wie
altes Aktenpapier wirken zu lassen, wurde es mit Knochenöl
eingepinselt). Trotzdem erhielt ich bei den "Foltergängen"
keine Begnadigung von Neptun. Da es früher die wischfesten Stifte noch
nicht gab, hat sich die Schrift mit dem Knochenöl langsam vermischt.
Dies ist meine Geschichte zum angeknabberten Taufschein." |
Zur Abb. 'MS
"Quedlinburg", 1970-01-24, Stockfisch / RRS' erreichte uns
folgende Story: "Der Taufschein wurde durch Mitglieder
des Hauptdecks mühselig, einzeln angefertigt und stellt so etwas wie
ein Unikat dar. Das hatte folgende Bewandnis. An Bord war eine Reise
zuvor ein Filmteam, welches eine Äquatortaufe miterlebte. Zurück in
Rostock prangerten diese Typen unsere 'Gebräuche' mit Nachdruck an.
Daraufhin wurden ab sofort die Taufen in 'Äquatorfeiern' umbenannt. Wir
wollten das nicht hinnehmen, und so haben die Kollegen vom Hauptdeck
sich dankenswerterweise der Angelegenheit angenommen. Normalerweise
wurden die Taufscheine auslaufend in Rotterdam oder Hamburg gekauft.
Bemerkenswert und auch dankbar waren wir für die Unterzeichnung durch
Kapitän Dittert." |
Später, ex DSRler @ PAX um Kap Horn:
"Es gab zwar keine Taufe, aber dafür Glühwein
bei Hans Albers’ 'La Paloma' auf dem Crew Deck." - Und
weitere Beurkundungen:
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Jahrzehnte später, auch die Passage der
Magellanstraße wird beurkundet. Und der Zeichner der bekannten Vorlage
für den Äquatortaufschein hätte sich eigentlich eine goldene Nase
verdient:
Magellanstraße im
Oktober 2016 - (4) |
Äquatortaufe im
Dezember 2020 - (4) |
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Herzlichen Dank an alle dem Aufruf gefolgten
Dokumentaristen!
Weitere Zusendungen zum Thema an: webmaster@seeleute-rostock.de
Unbedingt bitten wir euch Maler, Zeichner - Künstler! - ums
"Outing"!
Quellen: |
(1)
(2)
(3)
(4) |
"DSR", Götz/Wenzel, Koehlers
Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg, 2004
Wikipedia/Äquatortaufe, 2017
Wikipedia/Regeln für Weltumsegelungen, 2017
Informationsschrift einer Hamburger Reederei, 2012 - 2021 |
Abb.n: |
Mitwirkende
im jeweiligen Bildtitel verkürzt angegeben. |
Fotos: |
8x
KHZ, 2x Dieter Pevestorf, beide Rostock (MdV); 2x ABa, HH
(EMdV) |
"Die wertvollsten Papiere": Seeleute
Rostock e.V., 1.3.2017
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08.11.2021 |
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"Tradi" - Fakten |