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Die wertvollsten Papiere

Wie sie zu erlangen waren und in großen Ehren gehalten werden

Äquator-, Polartauf-, Weltumsegelungs-, Lange-Reedezeiten- und Was-sonst-noch-so-Scheine
Mit Hingabe ausgestellt und voller Stolz aufbewahrt - hier eine Auswahl zum Betrachten


Äquatortaufe

Ausgelassen feierten sie in der Mannschaftsmesse ins neue Jahr, stiegen irgendwann in die Kojen und fielen in einen schweren Schlaf ... Plötzlich wurden sie herausgerissen - es war noch dunkel, halb Fünfe -, zusammengetrieben und achtern in die Segelkoje gesperrt. Da war sie wieder - die bevorstehende Äquatortaufe! Durch "Gerüchte" an Bord und sogar fingierte Meldungen in der Bordpresse sollte wohl anständig Furcht vor diesem Ereignis geschürt werden, bei jenen noch nicht vom Schmutz der nördlichen Halbkugel gereinigten Fahrensleuten. Aber sie sanken in ihren Ecken in der Segelkoje nieder und waren irgendwie noch benebelt. Doch das gefiel den Täufern garnicht! Sie hauten mit einem Moker auf das Deck über ihnen, und von Zeit zu Zeit warfen sie eine Pfanne gebratenen Pfeffers in die Segellast. Der Höllenlärm und die scharfe Luft waren wirklich eine Tortur für die im Dunklen Eingeschlossenen! Aber das war ja wohl auch der Zweck. - So ging das weiter bis gegen acht Uhr, als der Dampfer den Äquator überquerte, und alle an Deck kriechen mussten, um auf allen Vieren "Neptun" zu begrüßen, den Segen des "Pastors" zu empfangen und gemeinsam mit wenig Kraft ein Lied zu singen. Nach einigen Anläufen gelang dann endlich eine der Taufschwadron zusagende Intonation, und sie mussten alle wieder nach unten. - Nun wurde mit dem Taufritual begonnen, was sich bei so vielen Täuflingen bis in den Nachmittag hineinzog. Aber der Krach und der scharfe Geruch in der Segellast waren endlich vorbei, weil die Täufer nun anderweitig beschäftigt waren. Die ersten Täuflinge hatten es dann fix überstanden und konnten sich zurückziehen. Die länger auf ihre Taufe wartenden Täuflinge dämmerten in der Segelkoje vor sich hin, bis sie an die Reihe kamen. Endlich. Sie wurden mit dem Gesicht in ein Heringsfass getaucht, bis zum Hals in eine Foolbrass-Tonne gesteckt, dabei halb geschoren, mussten tränenden Auges durch ein "Fernglas" (zwei miteinander verbundene, mit speziellem Wasser gefüllte Bierbuddeln) "nach dem Äquator ausgucken", wurden beim "Doktor" auf einer "Streckbank" zu Plätzchen mit Hering (ungenießbar) verordnet, wurden in einer "Folterbank" gefangen an Zehen und Fingern solange mit Zangen gezwickt, bis sie ihren Anteil an der abendlichen Taufparty versprachen. Was selbstverständlich an jeder "Station" genau festgehalten wurde, zwischen denen die Täuflinge immer nur auf allen Vieren und singend getrieben wurden. Zum Schluss wurden sie durch einen Wasserschlauch gejagt, an dessen Ende ein kleines Becken wartete. Das Wasser war schon nicht schlecht, aber sie wurden untergedükert, und im letzten Moment vorm Eintauchen wurde ihnen der Taufname zugeflüstert! Den mussten sie nun auf dem Weg zum "Neptun" zurück immer noch auf allen Vieren im Kopf bewahren, um ihn diesem Meeresgott zu nennen. Erst, wenn das gelungen war, gabs von "Neptun" die Erlaubnis zum Befahren der Gewässer auf der Südhalbkugel, einen kräftigen Schluck - was tat der gut! -, und nach einem Kuss auf Nixes Zeh: Überstanden! - Falls der Taufname vergessen wurde, das Ganze noch einmal ... Die Übergabe der zumeist handgefertigten, wahrhaft kunstwerklichen Taufscheine (Urkunden) während der "Taufparty" am Abend war der krönende Abschluss, und alle - Quäler und Gequälte - waren glücklich und zufrieden. - Zum Initiationsritus "Äquatortaufe", ABa, Hamburg

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"Diese Zeremonie ist spätestens seit dem 17. Jahrhundert bekannt und gab mitunter Anlass, schlimme Ausartungen durch Verbot wie 1615 bei der niederländischen Ostindischen Kompanie oder durch einschränkende Regelungen wie später bei der DSR zu unterbinden. In jedem Falle handelt es sich darum, einen Menschen in die Gemeinschaft aufzunehmen, man leitet es von »Hansen« oder auch »Hänseln« ab. Mutprobe und sich »Einkaufen« spielen bei solchen »Taufen« eine große Rolle. Es lohnt sich, über diese Rituale nachzulesen. Mutproben, bei denen der Neuling mehrmals von der Marsrah ins Wasser zu springen hatte, um unterzutauchen, gab es auf modernen Frachtern nicht mehr. Aber das mitunter lange Eintauchen ins Wasser war geblieben.
Bis in die siebziger Jahre hinein hatten sich in der DSR-Flotte Methoden entwickelt, welche im Rahmen des Zulässigen und des guten Geschmacks lagen. Leider gab es immer wieder »Prozeduren«, welche diese Grenzen überschritten. Die letzte Anweisung zur »Durchführung von Äquatortaufen und ähnlichen Handlungen« erschien 1989. ...
" - (1)
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Polartaufe

Die Polartaufe ist ein äquivalentes Ritual von Seeleuten, wenn ein Besatzungsmitglied oder ein Passagier zum ersten Mal auf See den Polarkreis überquert, und wurde ähnlich zelebriert. - Nach (2)


Weltumsegelung

„Um die Welt zu umsegeln, muss ein Schiff von einem Punkt starten und zum selben Punkt zurückkehren. Es muss alle Längengrade überqueren, und es muss den Äquator queren. Es kann einige, darf aber nicht alle Meridiane mehr als einmal queren (also, zwei Antarktis-Umrundungen zählen nicht). Die kürzeste Strecke (Luftlinie) des Schiffs muss mindestens 21.600 Seemeilen betragen, kalkuliert unter Annahme einer ‚perfekten Kugelgestalt‘ der Erde.“ - Nach (3)


Die Urkunden von Bord
(von 1961 bis 1991 zeitlich aufsteigend sortiert, Anmerkungen folgen unten.)
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Individuelle Anfertigung für über 50 Leute an Bord mit Temperafarben auf Segeltuch
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Keine gleicht der anderen. Was für eine herrliche Erinnerung an diese Weltreise!
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* Obige Urkunden sind von Schiffen der DSR Rostock bis auf 'MS "Antarcticore", 1974-09-10, Ölsardine / HHe *'.
slr-sd14-19650524-ats-pfr-zs20171009.jpgZur Abb. 'MS "Gera", 1965-05-24, Klippfisch / PFr' schrieb Peter Frei: "Erschreckt bitte nicht, aber ich habe überhaupt überlegt, ob ich dieses ramponierte Bild zuschicke, das waren aber nicht meine Enkel! Um diesen Zustand zu erklären, muss ich folgendes erzählen. Dieser Taufschein zierte schön eingerahmt, aber ohne Glas, in meiner Kammer auf der MEYENBURG die Wand. Auf der Indientour legte ich mir einen kleinen Papageien zu (Pflaumenkopfsittich), der ziemlich zahm war, so dass er frei in der Kammer umherfliegen durfte. Eines Tages komme ich in meine Kammer und sehe mit Entsetzen den Zustand meines Taufscheines!
Übrigens fertigte ich als Ungetaufter ungefähr 15 Stück von diesen Exemplaren zusammen mit dem Schiffsarzt an. Ich war für das grafische und der Doc für das übrige Bild wie das Outfit des Papiers (um es wie altes Aktenpapier wirken zu lassen, wurde es mit Knochenöl eingepinselt). Trotzdem erhielt ich bei den "Foltergängen" keine Begnadigung von Neptun. Da es früher die wischfesten Stifte noch nicht gab, hat sich die Schrift mit dem Knochenöl langsam vermischt. Dies ist meine Geschichte zum angeknabberten Taufschein.
"
slr-sd14-19700124-ats-rrs-zs14062017.jpgZur Abb. 'MS "Quedlinburg", 1970-01-24, Stockfisch / RRS' erreichte uns folgende Story: "Der Taufschein wurde durch Mitglieder des Hauptdecks mühselig, einzeln angefertigt und stellt so etwas wie ein Unikat dar. Das hatte folgende Bewandnis. An Bord war eine Reise zuvor ein Filmteam, welches eine Äquatortaufe miterlebte. Zurück in Rostock prangerten diese Typen unsere 'Gebräuche' mit Nachdruck an. Daraufhin wurden ab sofort die Taufen in 'Äquatorfeiern' umbenannt. Wir wollten das nicht hinnehmen, und so haben die Kollegen vom Hauptdeck sich dankenswerterweise der Angelegenheit angenommen. Normalerweise wurden die Taufscheine auslaufend in Rotterdam oder Hamburg gekauft. Bemerkenswert und auch dankbar waren wir für die Unterzeichnung durch Kapitän Dittert."

Später, ex DSRler @ PAX um Kap Horn: "Es gab zwar keine Taufe, aber dafür Glühwein
bei Hans Albers’ 'La Paloma' auf dem Crew Deck.
" - Und weitere Beurkundungen:
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Jahrzehnte später, auch die Passage der Magellanstraße wird beurkundet. Und der Zeichner der bekannten Vorlage für den Äquatortaufschein hätte sich eigentlich eine goldene Nase verdient:
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Magellanstraße im Oktober 2016 - (4) Äquatortaufe im Dezember 2020 - (4)


Herzlichen Dank an alle dem Aufruf gefolgten Dokumentaristen!

Weitere Zusendungen zum Thema an: webmaster@seeleute-rostock.de
Unbedingt bitten wir euch Maler, Zeichner - Künstler! - ums "Outing"!


Quellen: (1)
(2)
(3)
(4)
"DSR", Götz/Wenzel, Koehlers Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg, 2004
Wikipedia/Äquatortaufe, 2017
Wikipedia/Regeln für Weltumsegelungen, 2017
Informationsschrift einer Hamburger Reederei, 2012 - 2021
Abb.n: Mitwirkende im jeweiligen Bildtitel verkürzt angegeben.
Fotos: 8x KHZ, 2x Dieter Pevestorf, beide Rostock (MdV); 2x ABa, HH (EMdV)

"Die wertvollsten Papiere": Seeleute Rostock e.V., 1.3.2017

   

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  08.11.2021  
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