Automation an Bord
Der Übergang zum automatisierten Schiffsbetrieb in der DSR
von Peter Voß († 17. Mai 2019), Darß/Rostock/Hamburg, 2002
Erschienen in "50 Jahre Deutsche
Seereederei Rostock -
Beiträge zur Entwicklung und Transformation der Handelsschifffahrt der
DDR"
Schriften des Schifffahrtsmuseums der Hansestadt Rostock, Band 9,
Rostock 2002
Herausgegeben von der Hansestadt Rostock
© by Hansestadt Rostock - Städtische Museen
Alle Rechte vorbehalten
Idee und wissenschaftliche Redaktion: Prof. Bruno Jenssen (†)
Redaktion: Dr. Peter Danker-Carstensen
Verlag Redieck & Schade GmbH Rostock
Genehmigungen für diese Übertragung siehe ganz
unten,
versehen mit Abbildungen aus der Sammlung des Seeleute Rostock e.V.
Voß, Peter -
zum Autor:
Jahrgang 1937. 1952-1954 Lehre zum Maschinenschlosser, Warnow Werft.
1960 Schiffsingenieur. 1975 Diplom-Ingenieur für
Schiffsbetriebstechnik. 1955-1990 Mitarbeiter der DSR, Tätigkeiten
als Trimmer, Maschinenassistent und Technischer Offizier. 1963-1968
Leitender Ingenieur. 1969-1990 in leitenden Funktionen an Land,
darunter Verantwortlicher für die Flotteninstandhaltung.
1991-1993 Bauaufsicht für Neubauten und ab 1994 langjähriger Leiter
der Technischen Inspektion in der ORION Schiffahrts-Gesellschaft
Hamburg. 2019 verstorben. Große Anteilnahme bei ORION. |
Peter Voß
umreißt zunächst die technischen Bedingungen mit den ersten
Dampfschiffen der DSR, mit dem Übergang zu Motorschiffen mit der
eigentlich noch Vorkriegstechnik und den Kühlschiffen mit erster,
jedoch ungenügender Automatisierungstechnik sowie mit den
menschlichen Faktoren - Verharrung im konventionellen Denken und der
noch fehlende Qualifikation.
Er beschreibt eigene Erfahrungen im Schiffsmaschinenbetrieb auf den
betreffenden Kühlschiffen und die Phase des "learning by
doing", den Durchbruch im Denken und Handeln sowie dessen
Nutzung für nachfolgende Schiffsneubauten. Wobei die menschliche
Neigung zur Übertreibung auch ein Zuviel des Guten hervorbrachte -
die Grenze zwischen möglicher Technik und deren Beherrschbarkeit im
Schiffsbetrieb wurde überschritten, was sich wiederum zum Nachteil
des "wachfreien" Schiffsbetriebs ergab. |
Lesezeit: ca. 30 Minuten!
Anspruch: hoch, aber sehr interessant! |
1. Die Ausgangsbedingungen in den 1950er und 60er
Jahren
Beim Aufbau der Handelsflotte der DSR Mitte/Ende
der 1950er und Anfang der 1960er Jahre waren speziell bei den mit
Dieselmotoren angetriebenen Schiffen ausgesprochen konventionelle
technische Grundsätze bei der Gestaltung der Anlagen maßgebend. Das
spiegelt sich u.a. auch darin wider, dass die ersten Neubauten, die
Dampfer ROSTOCK und WISMAR, noch kohlebefeuerte Dampfschiffe mit
Maschinen waren, die dem technischen Stand der Jahre 1928 bis 1940
entsprachen. Die Umstellung von Kohle- auf Ölfeuerung auf dem
Dampfer THÄLMANN PIONIER, ca. zwei Jahre nach Dampfer ROSTOCK in
Dienst gestellt, basierte gleichfalls auf technischen Ausführungsgrundsätzen
der 30er Jahre.
Die Einführung der Dieselantriebe auf den Neubauten der DSR trug
ähnliche Merkmale. Die kleineren Dieselmotoren für Hilfsantriebe
und kleinere Fahrzeuge der Fischerei- und Hilfsflotte wurden
praktisch ausnahmslos aus der ehemaligen Motorenfabrik Buckau-Wolf in
Magdeburg geliefert. Die Konstruktionen dokumentierten den Stand vor
und während des II. Weltkrieges.
Ein Durchbruch sollte mit den Antriebsanlagen der Typ-IV-Schiffe ab
den Jahren 1955/1956 erzielt werden. Eine für den Antrieb von
U-Booten während des 2. Weltkrieges entwickelte Konstruktion, die
vor dem Zusammenbruch jedoch nicht mehr zur Ausführung kam, wurde im
damaligen VEB Maschinenbau Halberstadt wieder aufgegriffen und mit
dem Versuch der annähernden Leistungsverdoppelung gebaut. Wie in der
einschlägigen Literatur bereits ausführlich behandelt, konnte diese
Entwicklung erst nach herben Rückschlägen bei Reduzierung der
vorgegebenen Leistung um ca. ein Drittel mit einer Zeitverzögerung
von mehr als einem Jahr zum Einsatz gebracht werden.
Gleichstromanlagen dominierten die DSR-Flotte noch bis zum Anfang
der 60er Jahre, als andere Schifffahrtsnationen schon längst zur
Dreh- und Wechselstromtechnik übergegangen waren.
Sensortechniken für Pressostate, Thermoelemente,
Thermostate, Niveausensoren waren bis Ende der 60er Jahre in der
DSR-Flotte praktisch unbekannt. Es kam immer noch die in ihrer
Funktion doch recht unsichere Kontaktgebertechnik (Kontaktmanometer
und -thermometer) — Stand der 1930er Jahre — zum Einsatz.
Der Lehrkörper an der damaligen Ingenieurschule für
Schiffstechnik in Warnemünde bestand fast ausschließlich aus
Dozenten, die ihre Praxiserfahrung, die dem Stand der Technik Ende
der 1930er Jahre entsprach, vermittelten. So umfasste das
Vorlesungsvolumen für Kolbendampfmaschinen im C6-Lehrgang von 1957
bis 1960 etwa das fünffache dessen für Regelungs- und
Steuerungstechnik, von Überwachungstechnik ganz zu schweigen.
Praktisch bedeutete dies, dass die Absolventen die Schule mit einem
guten Grundwissen, aber mit unzureichenden Kenntnissen des aktuellen
technischen Entwicklungsstandes verließen. Dieses Manko wurde noch
verstärkt durch die Tatsache, dass auf Grund der politischen Verhältnisse
der wissenschaftlich-technische Informationsaustausch mit Ländern außerhalb
des sozialistischen Auslandes begrenzt war.
Auch die praktischen Fortbildungsmöglichkeiten an Bord waren
begrenzt. Das leitende Personal war vor dem II. Weltkrieg und in der
Kriegsmarine ausgebildet worden, hatte dann meist die Periode der
daniederliegenden deutschen Handelsschifffahrt in berufsfremden Tätigkeiten
oder in Gefangenschaft überbrücken müssen, um dann wieder mit
Anlagen betraut zu werden, die sich nur unwesentlich vom
Vorkriegsniveau unterschieden. So bestand die technische Fortbildung
der jungen Schiffsingenieure in der DSR-Flotte bis Mitte der 60er
Jahre zum erheblichen Teil in der Besichtigung von Schiffen ausländischer
oder meist westdeutscher Reedereien, bis auch diese Möglichkeiten
durch politische Zwänge stark eingeschränkt wurden. Trotzdem sollen
auch an dieser Stelle die Namen solcher nun teilweise bereits lange
verstorbener Ingenieure wie Karl Kröger, Walter Preusche, Ernst
Bagehorn, Hannes Blumberg, Ernst Galatzky und Fiete Beuß
stellvertretend für andere weniger bekannte genannt werden, die sich
um die praktische Ausbildung des ingenieurtechnischen
Nachwuchspersonals der DSR-Flotte besonders in der Aufbauphase
hochverdient gemacht haben.
Die Situation wird verdeutlicht, wenn man die technischen Anlagen des
Jahres 1967, dem Jahr des Beginns des umfassenden automatisierten
Schiffsbetriebes, betrachtet. Von den derzeit 162 Schiffen im
Flottenbestand der DSR waren zwei Schiffe oder 1,2 % mit Anlagen
ausgerüstet, die eine schrittweise Einführung der teilweise
wachfreien Maschinenbetriebes möglich machten. Zu diesem Zeitpunkt
hatte die Automatisierung in den Flotten anderer Länder wie Japan,
Westdeutschland, Belgien, Niederlande, also solcher mit einem hohen
technischen Entwicklungsstand, bereits ihren Einzug gehalten.
Eines dieser zwei an der Schwelle der Automatisierung stehenden
Schiffe war das Kühlschiff MS THEODOR STORM. Die Schwesterschiffe MS
THEODOR STORM und MS THEODOR FONTANE waren Ende 1965 bei der
Boelwerft in Temse in Belgien als Anhang einer Serie von sechs
Schiffen kontrahiert und speziell für den Südfruchttransport von
Kuba in die DDR vorgesehen. Auftraggeber der anderen Schiffe war
Belgian Fruit Line, die auf ihren Schiffen schon einen gewissen Stand
der Automatisierung erreicht hatte.
Fotos/Sammlung: Arne Sognnes,
Bergen/Norwegen | Mit freundlicher Genehmigung |
Wenn man auch nicht vom wachfreien Betrieb sprechen konnte, so
waren Regelungs- und Überwachungsvorgänge doch schon so weit
entwickelt, dass der Seewachbetrieb analog dem Hafenwachbetrieb überwiegend
von einem Ingenieur wahrgenommen werden konnte. Das wollte auf einem
Kühlschiff mit mindestens doppeltem Überwachungs- und
Steuerungsaufwand im Vergleich zu einem Stück- oder Massengutschiff
schon etwas bedeuten.
Die damalige Neubauabteilung der DSR baute auf dieser Konzeption auf.
In der damals noch möglichen Zusammenarbeit mit dem Hauptlieferanten
der Überwachungsanlagen, der Firma Siemens, machte sich besonders
Dipl. Ing. Peter Treu um die Vervollkommnung der vorhandenen
Grundkonzeption verdient. Er brachte als vormaliger Assistent an der
schiffbautechnischen Fakultät der Universität Rostock das
notwendige technische Rüstzeug mit, um in enger Zusammenarbeit mit
den praxiserfahrenen Ingenieuren Walter Rieck für die Elektrotechnik
und dem schon erwähnten Hans-Georg Blumberg für den Maschinen- und
Kühlbetrieb die Grundkonzeption in Richtung Reduzierung des
manuellen Überwachungs- und Steuerungsaufwandes zu entwickeln.
Das technische Personal auf der THEODOR STORM bestand
aus: |
|
LTO
I. Ingenieur
II. Ingenieur
III. Ingenieur
Kühlingenieur
E-Ingenieur
Storekeeper
3 Maschinenassistenten
1 Elektriker. |
Damit war der technische Personalumfang gegenüber einem Schiff
mit konventioneller Anlage um fünf (2 Kühlmaschinisten und 3
Maschinenassistenten) reduziert. Erfahrungen im Kühlschiffsbetrieb
besaß neben dem LTO nur noch der Kühlingenieur.
Etwa zwei Monate vor Übergabe wurde der LTO, einen Monat vor
Indienststellung der E-Ingenieur zur Baubelehrung nach Belgien
entsandt. Von Belgien aus war es möglich, die Baubelehrung zusammen
mit der Bauaufsicht und der DSRK in das Siemenswerk nach Erlangen in
einem ca. einwöchigen Lehrgang zu verlegen, der mit den Grundzügen
der Transistortechnik vertraut machte. Zumindest für das vorgesehene
leitende technische Personal wurden die im technischen Wortschatz
auftauchenden Begriffe der Analog- und Digitaltechnik verständlicher.
Viel mehr aber auch nicht, denn für die praktische Verknüpfung von
Schaltkreisen und Systemen sowie das Fehlersuchen, heute modern mit
"trouble-shooting" bezeichnet, wurde keine Minute
aufgewandt. Das war und ist aus Sicht der Hersteller auch nach wie
vor nachvollziehbar, erhoffte man doch durch den Einsatz hoch
spezialisierten Fachpersonals für Serviceleistungen zusätzlichen
Gewinn. Das hat sich heute durch das Vorhandensein mehrerer
Konkurrenten auf dem Markt zwar erheblich geändert, ist in der
Tendenz jedoch nach wie vor vorhanden.
Das restliche Maschinenpersonal traf etwa eine Woche vor
Indienststellung noch rechtzeitig zum Beginn der Probefahrt in
Belgien ein. Es war nicht nach den besonderen Anforderungen des
Betreibens einer teilautomatisierten Anlage ausgesucht, sondern so
zum Einsatz gebracht worden, wie es gerade zur Verfügung stand.
Die Probefahrt verlief relativ problemlos. Ohne die Bauwerft wieder
anzulaufen, wurde MS THEODOR STORM nach Übernahme am 30.09.1966 nach
Warnemünde verholt, wo am Passagierkai in aller Hast in den oberen
Decks der Ladeluke II noch Tische und Bänke aufgestellt wurden. Sie
dienten zur Bewirtung der Gäste einer Demonstrationsfahrt, voran der
Vorsitzende des Rates des Bezirkes. Morgens um 10.00 Uhr festgemacht,
ging es gegen 16.00 Uhr für eine ca. dreistündige
Demonstrationsfahrt auf die Ostsee. Es versteht sich von selbst, dass
unter diesen Umständen alles nur Show mit einem höheren Aufwand als
der für eine konventionelle Anlage sein konnte.
Am gleichen Tag wurde der Besatzung eröffnet, dass aus der angekündigten
Fruchtfahrt Kuba-DDR vorerst nichts werden würde und das Schiff eine
mindestens sechsmonatige Charter für eine französische Reederei im
weltweiten Einsatz antreten sollte. Fidel Castros Apfelsinen- und
Grapefruit-Plantagen waren schon so weit heruntergewirtschaftet, dass
sie für volle Schiffsladungen nicht mehr ausreichten.
Das Ergebnis dieser Einsatzänderung waren Proteste speziell von
Angehörigen des Maschinenpersonals, die auf die relativ kurzen
Reisen zwischen der DDR und Kuba eingestellt waren und nun ihre
Familien für mindestens ein halbes Jahr nicht mehr sehen sollten.
Forderungen nach sofortigem Absteigen konnten durch die Inspektion
nur mit dem Hinweis auf Meuterei notdürftig unterdrückt werden, zum
Argumentieren war auch angesichts der "hohen Gäste" keine
Zeit. Entsprechend motiviert war die Besatzung, als das Schiff am nächsten
Morgen unter den Klängen der DSR-Kapelle ablegte.
Zum Auftakt, unmittelbar vor dem Passagierkai nach Losschmeißen der
Schlepper, gab es einen ca. fünfminütigen "Black-out",
wahrscheinlich sehr zur Schadenfreude einiger noch an der Pier
stehenden Schaulustigen. Einer der Ingenieure hatte seine Probleme
mit der recht einfachen Handhabung der Tagestankumstellung, und er
hatte dadurch allen Motoren die Brennstoffzufuhr gestoppt. Bis der
Fehler gefunden war, hatten die Schlepper schon wieder festgemacht
und uns ein erhebliches Stück in Richtung Ausfahrt bugsiert. Sehr
verheißungsvoll war der Beginn des teilautomatisierten
Schiffsbetriebes also nicht.
Die Anreise nach Abidjan verlief auch nicht gerade reibungslos. Zu
den ununterbrochenen meist "blinden" Störungsmeldungen aus
allen Bereichen der Maschinenanlage, die zunächst als Anlaufprobleme
und Fehler bei der Justierung der Überwachungseinrichtungen abgetan
wurden, und die Maschinenbesatzung jedoch Tag und Nacht auf den
Beinen hielt, kamen noch Personalausfälle. Ein Maschinenassistent
brach sich den Unterarm, weil er einer der zu schwer geratenen und
daher im Seegang auf und zu schlagenden Eingangstüren zum
Kontrollraum nicht rechtzeitig auswich. Er und der Storekeeper, der
sich bei Arbeiten an der Wellenlagerkühlung die Hand verletzte,
fielen für den Rest der Reise aus.
Bei dem zwei Tage vor Erreichen des Ladehafens beginnenden
"Pre-cooling" der Laderäume kamen Störungen der Kälteanlage
hinzu. Die erstmals an den Ladekühlkompressoren unter
Tropenbedingungen zum Einsatz kommende automatische
Leistungsregulierung verursachte fortlaufend Ventilbrüche, die sich
so entwickelten, dass etwa ein Tag nach Übernahme der Bananenladung
ein Collo Ventile von Belgien nach Abidjan nachgeflogen werden
musste, um die Ladung halbwegs sicher zum Bestimmungshafen Marseille
zu bringen.
Doch damit nicht genug, beim "cooling down" im Ladehafen
wurde die komplette Lagerung eines der brandneuen Hilfsdiesel, die für
die Stromversorgung in dieser Phase dringend benötigt wurden, zu
Schrott gefahren. Ursache war, dass in Ermangelung von Personal der
"2. Elektriker" zum Filterreinigen eingesetzt war, dieser
jedoch bei der Umschaltung unter Anwendung roher Gewalt einen simplen
Dreiwegehahn in eine solche Stellung gebracht hatte, dass jegliche Ölzufuhr
zu den Lagern unterbrochen war. Die Automatik sprang zwar an und
setzte die Maschine kurz nach dem Start immer wieder ab, aber die
solcher Art eingetretene "Störung" erkannte natürlich
keiner. In der Annahme, es handele sich wieder einmal um eine
"blinde Störung", wurde das Stopsignal manuell unterdrückt
und die Maschine angefahren und an das Netz genommen, bis der
Lagerschaden im Lärm des Maschinenraumes auch akustisch wahrgenommen
wurde.
Solche Fehlhandlungen und Fehlschlüsse, wenn auch nicht mit solchen
Folgen, kennzeichneten die ersten zwei Monate des Betriebes, der
angesichts ständiger Ausfälle, aus welchen Gründen auch immer,
nicht als "automatisiert" bezeichnet werden konnte. Ursache
waren einerseits nicht oder nicht ausreichend erprobte Anlagen, das
Fehlen im Probebetrieb ermittelter Parameter für die Justierung der
Überwachungseinrichtungen, das unzureichend für den Einsatz
qualifizierte Personal und dessen Überforderung durch
Unterbesetzung. Hinzu kam noch, dass der französische Charterer
einen erfahrenen Supercargo an Bord entsandte, der jeden noch so
kurzen Ausfall der Maschinenanlage oder Abweichung der Kühltemperaturen
in einem "Statement" festhielt, das Kapitän und Chief
unterzeichnen mussten, damit später eine entsprechende Reduzierung
der Chartergebühren erfolgen konnte.
Dies alles, gepaart mit der schon geschilderten Demotivierung der
Besatzung auf Grund des nicht befristeten Chartereinsatzes, führte
dazu, dass sich speziell der Chief zunehmend mit Teilen des ihm
unterstellten Personals auseinander setzen musste, die sich nach
Schiffen mit konventionellen Anlagen zurücksehnten und nach Hause
wollten. Besatzungsheimreisen waren im damaligen Einsatz aber auf
Grund der politischen Situation von den angelaufenen Häfen aus nur möglich,
wenn eine entsprechende Krankschreibung durch einen Arzt vorlag oder
bei entsprechender Deviation Algier oder Casablanca angelaufen wurde.
Folglich wurde die ohnehin von Beginn an gegenüber einem
konventionellen Schiff schon reduzierte Maschinenbesatzung noch um
zwei weitere Personen verringert bis die DSR unter Hinnahme der
Deviations- und Charterausfallkosten nach zwei Monaten ein Anlaufen
Casablancas zur Wiederaufstockung der Besatzung gestattete. Von da ab
stabilisierte sich der Betrieb in der Weise, dass die störanfälligsten
Automatisierungsanlagen wie die kapazitive Tankinhaltsmessanlage, der
Tagebuchdrucker und die lastabhängige Hilfsdieselauf- und
-abschaltung zur Sicherung eines halbwegs störungsfreien Betriebes
einfach außer Betrieb genommen, d.h. die Anlage konventionell
gefahren wurde.
Dieser Zustand dauerte etwa bis Mitte/Ende Januar 1967 an. Inzwischen
war auch das Schwesterschiff des MS THEODOR STORM, das MS THEODOR
FONTANE, in Dienst gestellt und auf Grund der auf dem ersteren
gesammelten Erfahrungen mit weniger Schwierigkeiten für den
Charterer Lauritzen im Einsatz. Aber auch hier wurde der
konventionelle Maschinenbetrieb praktiziert, wenn auch mehr oder
weniger zentralisiert vom Kontrollraum aus. Dies macht deutlich, dass
mit der Indienststellung der Schiffe THEODOR STORM und MS THEODOR
FONTANE wohl ein Schritt in Richtung automatisierter Schiffsbetrieb
vollzogen war, aber vom wachfreien Maschinenbetrieb, der die
eigentliche Personaleinsparung bringen sollte, keine Rede sein
konnte. Dazu waren u.a. auch die Besatzungen noch zu sehr dem
Konventionellen verbunden. |
2. Erste Schritte zum automatisierten Schiffsbetrieb
auf der THEODOR STORM
Die ersten Ansätze zur Änderung dieser
Einstellung traten ein, als der für damalige Verhältnisse
progressive Inspektionsleiter G. Krauß im Januar 1967 sich das
leitende Maschinenpersonal teilweise neu zusammenstellte und die
Leitung der Maschinenanlage auf MS THEODOR STORM für etwa zwei
Monate selbst übernahm. Praktisch im Handstreich veranlasste er auch
Kraft seiner Funktion im Landbetrieb ohne größere Abstimmung mit
den zuständigen Bereichen der DSR, geschweige denn der Aufsichtsbehörden
Seefahrtsamt und DSRK (Klassifikation), die Änderung der
Dienstorganisation an Bord dahingehend, dass nach Überprüfung aller
Parameter der Maschinenanlage, der Räume und Bilgen und
entsprechender Auffüllung der Tagestanks der Maschinenraum gegen
17.00 Uhr vom Maschinenpersonal zu verlassen war, um dann in
Intervallen von ca. vier Stunden durch einen Ingenieur kontrolliert
zu werden.
Am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr wurde durch den gleichen Ingenieur
die Überwachung vom Kontrollraum wieder aufgenommen und bis 17.00
Uhr wurde dann konventionell Wache gegangen. Wesentliche technische
Grundlage für diese Form der Dienst-/Wachorganisation war die Brückenfernsteuerung
des Hauptmotors, gekoppelt mit einer inzwischen relativ sicher
arbeitenden Störungsmeldeanlage mit entsprechender Störungsregistrierung.
Dazu wurde der im Maschinenüberwachungspult installierte Störungsdrucker
mobil gestaltet, allabendlich in den Kartenraum hinauf und am Morgen
wieder in den Kontrollraum hinunter transportiert. Auf der Brücke
erfolgte der Anschluss des Störungsdruckers an einer mehrpoligen
Buchse, die über ein von der Besatzung verlegtes vieladriges Kabel
mit der Störungsmeldeanlage im Maschinenkontrollraum verbunden war.
Der Wachoffizier auf der Brücke wurde eingewiesen, sich bei
Ansprechen des Störungsdruckers umgehend telefonisch mit einem in
Bereitschaft befindlichen Ingenieur unter Angabe der Störungsnummer
in Verbindung zu setzen. Der Ingenieur hatte dann die Aufgabe, der
Meldung nachzugehen und nach Klärung der Brücke Meldung zu machen.
Zeitgemäß wurde am Vortag des VII. Parteitages der SED eine vom
Kapitän, LTO/Inspektor Herrn Krauß und dem Politoffizier
unterzeichnete Grußadresse abgesetzt, die die probeweise Aufnahme
des wachfreien Schiffsbetriebes am 12.03.1967 meldete.
Landeinrichtungen, wohl auch die Aufsichtsbehörden und besonders der
im Urlaub befindliche Verfasser, der innerhalb der nächsten zwei
Wochen die Maschinenanlage wieder übernehmen sollte, waren
gleichermaßen überrascht. Es war nicht vorstellbar wie z. B. das
Fehlen einer Rauchmeldeanlage im Maschinenraum oder einer
Zylinderschmierölüberwachung des Hauptmotors und diverser anderer
Meldungen auf der Brücke in so kurzer Zeit "gelöst" sein
konnten. Eine telegraphische Rückfrage des amtierenden
Inspektionsleiters beim Schiff ergab dann, dass hinsichtlich dieser
sicherheitsrelevanten Einrichtungen nichts unternommen oder
konzipiert war.
Unter diesen Voraussetzungen erklärte sich der Verfasser nur unter
der Bedingung zur Rückkehr auf MS THEODOR STORM bereit, dass der
"wachfreie Maschinenbetrieb" mit seinem Dienstantritt
abgebrochen und erst wiederaufgenommen werde, wenn er es nach seinem
Verständnis von Sicherheit für Maschinenanlage und daraus für das
Schiff verantworten könne. Offenbar fand man keinen anderen LTO, der
das zugemutete Risiko übernehmen wollte. So wurde der Verfasser zum
Schiff zurückdelegiert und es kam zu der unvermeidlichen
Konfrontation zwischen dem Leitenden Technischen Offizier und seinem
Leiter der Inspektion. Die sah dann so aus, dass während der Reise
von Algier, wo der Verfasser aufstieg, nach Casablanca, wo G. Krauß
abstieg, dem Verfasser das Betreten des Maschinenraumes untersagt
wurde. Grund dafür war, dass er sich weigerte, den "wachfreien
Maschinenbetrieb" in der praktizierten Form fortzusetzen. Der
konventionelle Betrieb mit zentralisierter Überwachung vom
Kontrollraum aus wurde also wieder eingeführt. Jedoch wurde nicht
trotzig alles "zurückgedreht", sondern es wurde durch das
leitende Maschinenpersonal in sachlicher Analyse des bisherigen
Betriebes und möglicher Sicherheitsrisiken herausgearbeitet, wie man
die zeitweise praktizierte Form der Überwachung sicherer gestalten könne
und welche technischen Maßnahmen dafür erforderlich wären.
Die dienstorganisatorischen Maßnahmen umfassten: |
a) |
Über-
bzw. Ausarbeitung von Checklisten für tägliche, wöchentliche,
monatliche Kontrollen der Überwachungseinrichtungen |
b) |
Über-
bzw. Ausarbeitung von Anweisungen für das Brückenpersonal und
den Bereitschaftsing. |
Alles sollte mit Bordmitteln bei Zurverfügungstellung des
Materials möglichst kurzfristig realisiert, erprobt und in den
praktischen Betrieb eingeführt werden. Vielfach wurde dazu die Form
von "Neuerervorschlägen" gewählt.
Die notwendigen Materialeinkäufe wurden durch die DSR genehmigt. Der
Realisierung kam zugute, dass das Schiff in den Einsatz Südamerika/Frankreich
wechselte, wodurch die hohe Hafenanlauffrequenz der vorherigen
Charter unterbrochen wurde und der Besatzung mehr Zeit zur Verfügung
stand. Die Realisierungsmaßnahmen liefen auch zu diesem Zeitpunkt
ohne Abstimmung mit, oder Einholung der Genehmigung von den
Aufsichtsbehörden. Die technischen Lösungen bestanden in heute
teilweise kurios anmutenden Konstruktionen. Es war eben der Anfang
einer Entwicklung basierend auf praktisch auf diesem Gebiet nicht
vorhandenen Erfahrungen.
Hierzu seien
im Folgenden einige Beispiele beschrieben: |
- |
Die
Rauchmeldeanlage für den Maschinenraum wurde der fest
installierten Rauchmeldeanlage für die Laderäume nachempfunden,
indem an einem Kasten, der über ein Gebläse auf Unterdruck
gehalten wurde, Plastikschläuche angeschlossen waren, die Luft
von den gefährdeten Stellen des Maschinenraumes (von der
Zylinderstation Hauptmotor, oberhalb der vier Hilfsdiesel, von der
Hauptschalttafel und vom Separatoren- und Kühlkompressorenraum)
absaugten. Die abgesaugte Luft wurde über eine Photostrecke geführt,
die bei Trübung ansprang und ein Signal auf der Brücke auslöste.
Natürlich gab es erhebliche Anfangsprobleme bis die Überwachung
sicher stand und nicht bei jeder durch Leckagen in den
Abgasleitungen verursachten Trübung Feueralarm ausgelöst wurde.
Die täglich vor dem Verlassen des Maschinenraumes erforderliche
Überprüfung wurde mit Hilfe der Pfeife des Leitenden Ingenieur,
der kurz zuvor das Rauchen aufgegeben hatte, und dessen
Resttabakbeständen ausgeführt. |
- |
Die Überwachung
des Zylinderölförderstromes je eines der sechs Anschlüsse der
Ölzufuhr zu den Laufbuchsen wurde dadurch realisiert, dass über
ein kleines Rückschlagventil ein Pressostat angeschlossen wurde.
Der Sitz dieses Ventils wurde leicht geschlitzt, so dass bei
Nachlassen bzw. unterbrochener Förderung des Zylinderöles, d.h.
entsprechendem Druckabfall, der Pressostat ansprang und Alarm auslöste.
Auch hier gab es viele Anfangsprobleme, die im wesentlichen im
Justieren bestanden, die infolge von Drehzahländerungen des
Hauptmotors und Veränderungen der Maschinenraumtemperatur
notwendig wurden. |
- |
Die
Spannungsversorgung dafür war mit 220 Volt ausgelegt, was leider
dazu führte, dass später ein Todesopfer zu beklagen war. Als
Anfang 1968 der offizielle Probebetrieb lief, kam der III.
Ingenieur Scheel zu Tode, als er bei diesen Justierungsarbeiten in
durchschwitzter Arbeitskleidung einen Stromschlag erlitt. Er hatte
sich für die Erprobung des wachfreien Betriebes mit
hervorragendem Eifer engagiert. Seiner sei an dieser Stelle
gedacht. |
Eine Vielzahl von Maßnahmen umfasste das Auftrennen
zusammengefasster, d.h. für den sicheren Schiffsbetrieb wichtiger
und weniger wichtiger Störungsmeldungen. Für die zusammengefasste
Überwachung auf der Brücke wurde nach einem Entwurf des Verfassers
ein Kontrolltableau durch die Besatzung gebaut, verdrahtet und im
achteren Bereich des Kartenraumes installiert. Die erforderlichen zusätzlichen
Kabelverbindungen vom Maschinenkontroll- zum Kartenraum wurden
gleichfalls durch die Besatzung hergestellt.
Auf der Überfahrt von Südamerika nach Europa Mitte/Ende August 1967
wurde der Probebetrieb mit der modifizierten Anlage aufgenommen,
indem zunächst der Maschinenkontrollraum durch einen Mann besetzt
blieb, wenn die Störungsmeldung parallel zur Brücke geschaltet war.
Nach etwa drei Tagen relativ störungsfreien wachfreien Betriebes
wurde die permanente Anwesenheit eines Mannes im
Maschinenkontrollraum durch Kontrollgänge in Intervallen von zwei
Stunden abgelöst.
Bei Ankunft in Europa, nach Löschen der Ladung, hatte das Schiff in
die Werft zur Garantieaufhebung verholt, so dass mit der auf
beschriebener Weise modifizierten Anlage der wachfreie
Maschinenbetrieb vertreten werden konnte. Dieser von der technischen
Inspektion übernommene Standpunkt wurde nun erstmals an das für die
DSR-Flotte zuständige Aufsichtsorgan, die DSRK, herangetragen. Nach
entsprechender Überprüfung mit teilweise kleineren technischen
Korrekturen der selbstgebauten Anlagen wurde durch die DSRK offiziell
bestätigt, dass die Anlage zur Aufnahme des Probebetriebes geeignet
war. Dies geschah mit der Maßgabe, dass in Intervallen von drei
Monaten vom LTO über die Zuverlässigkeit und Erfahrungen mit der
modifizierten Anlage zu berichten sei. DSR-Inspektion und DSRK
schalteten dann das Seefahrtsamt der DDR mit ein, da natürlich auch
Belange der Wachorganisation, Besetzung, Nachweisführung usw.
tangiert wurden. Das Seefahrtsamt der DDR erteilte danach die
Genehmigung zur vorerst probeweisen Einführung der Betriebsform
"zeitweilig unbesetzter Maschinenraum".
Nach Abschluss der Garantiearbeiten wurde MS THEODOR STORM Mitte
September 1967 an das damals weltweit führende
Fruchttransportunternehmen SALÉN verchartert und für die United
Fruit Company, USA, im Bananentransport von Südamerika/Ecuador nach
Japan eingesetzt. Am 29.09.1967 wurde auf MS THEODOR STORM während
der Seereise von Yokohama/Japan nach Guayaquil/Ecuador der Betrieb
"zeitweilig unbesetzter Maschinenraum" aufgenommen. Dieser
Termin ist damit als Geburtsstunde des wachfreien Maschinenbetriebes
innerhalb der Handelsflotte der DDR anzusehen.
MS THEODOR STORM, an die SALÉN-Reederei Stockholm verchartert -
ein Gemälde von Olaf Rahardt
Gemälde/Sammlung/Repro: Marinemaler Olaf
Rahardt, Rudolstadt in Thüringen
www.marinemaler-olaf-rahardt.de |
Ende 1967 hatte sich der wachfreie Maschinenbetrieb auf dem MS
THEODOR STORM so weit stabilisiert, dass man von diesem Zeitpunkt an
davon sprechen kann, dass sich die neue Betriebsform "zeitweilig
unbesetzter Maschinenraum" Bahn gebrochen hatte. Die Besatzung
war schrittweise mit dieser Form des Betriebes vertrauter geworden,
hatte die Vorurteile größtenteils abgelegt und sich dem neuen
Arbeitsrhythmus mehr und mehr angepasst.
Die langen Reisen über den Pazifik boten ausreichend Zeit für die
Erprobung, Verbesserung und Stabilisierung des wachfreien Betriebes.
So wurde u.a. versucht, das Problem der nach wie vor unvollkommenen
Kontrollgangsüberwachung und besseren visuellen Kontrolle des
Maschinenraumes dadurch zu lösen, dass in Japan mehrere
elektronische Kleinkameras gekauft wurden, die auf mehreren Monitoren
im Kartenraum Bilder übertrugen. Die Ablenkung des Brückenpersonals
war jedoch zu groß bzw. es konnte aufgabengemäß die notwendige
Aufmerksamkeit nicht aufbringen, so dass diese Anlagen wieder abgerüstet
wurden.
Auch während des Einsatzes zwischen Ecuador und Japan wurde die
Maschinenbesatzung durch krankheits- bzw. unfallbedingte Ausfälle
zeitweise bis auf acht reduziert, weil aufgrund der immer noch
ausstehenden internationalen Anerkennung der DDR keine Ergänzung der
Besatzung erfolgen konnte. In dieser Situation, speziell unter dem
Druck der Charter, fragte keiner nach Einhaltung des
Schiffsstellenplanes, Port-State-Control und ISM gab es noch nicht.
So wurde ohne großes Aufheben unterbesetzt gefahren. Gerade in
dieser Situation zahlten sich erstmals die Vorteile des wachfreien
Betriebes aus und die dadurch erzielbaren Einsparungspotentiale
wurden praktisch greifbar.
Die auf MS THEODOR STORM gesammelten und in Berichtsform und als
Neuerervorschläge an die Inspektion der DSR gegebenen Erfahrungen,
ergänzt um eigene Ideen, waren Grundlage dafür, dass auch MS
THEODOR FONTANE mit einem zeitlichen Abstand von ca. zwei Monaten die
Erprobung des wachfreien Maschinenbetriebes aufnahm und als
Betriebsform den "zeitweilig unbesetzten Maschinenraum"
erfolgreich praktizierte.
Das Ausmaß dieses Schrittes von der
"konventionell/automatisierten" Betriebsform, wie sie auf
der MS THEODOR STORM und MS THEODOR FONTANE bei Indienststellung
vorlag, zum wachfreien Maschinenbetrieb war durch die unmittelbar auf
den Schiffen Beteiligten wohl nur bedingt erkannt worden, standen
doch anfangs andere Beweggründe im Vordergrund. Einerseits waren
Anlagen vorhanden, die einen rationellen Einsatz des Personals möglich
erscheinen ließen, anderseits waren sie nicht so vollkommen und so
weit konzeptionell entwickelt, dass sie den Anforderungen an einen
sicheren Maschinenbetrieb ohne direkte Aufsicht entsprachen. Diese
Umstände und die Tatsache, dass von den für den Personaleinsatz
zuständigen Einrichtungen an Land von einem automatisierten Betrieb
ausgegangen wurde, standen den Forderungen nach Freisetzung von
Arbeitskräften entgegen. Im Übereifer waren solche selbstverständlichen
Dinge wie ein Probebetrieb und auch die nach wie vor erforderliche
Wartung, Pflege und Reparatur der Anlagen, Schaffung einer
angepassten Dienstorganisation und durch Aufsichtsorgane zu
schaffende und auch international verbindliche Rechtsgrundlagen in
den Hintergrund getreten.
|
3. Der Durchbruch in den Köpfen und der Technik
Es klingt paradox, aber es ist so, dass gerade
diese auf den ersten Blick hemmenden Faktoren die Einführung des
wachfreien Betriebes in der DSR beschleunigten, weil sie im
weitgehend naiven Verständnis der Besatzung von Vorschriften und
Genehmigungsverfahren praktisch frei von bürokratischen Hürden zum
Durchbruch gelangten.
So kam in dieser ersten Etappe des wachfreien Maschinenbetriebes in
der DSR nicht mehr, aber auch nicht weniger heraus, dass auf den Kühlschiffen
THEODOR STORM und THEODOR FONTANE die Maschinenanlage mit der ursprünglich
vorgesehenen Personalstärke von elf gegenüber vierzehn wie im
konventionellen Betrieb gefahren werden konnte.
Zum
Zeitpunkt der offiziellen Aufnahme der Betriebsform "zeitweilig
unbesetzter Maschinenraum" auf den Kühlschiffen THEODOR STORM
und THEODOR FONTANE, d.h. der ersten Hälfte des Jahres 1968, war die
Indienststellung der Schiffe der Typ-XD-Serie angelaufen. Die
Indienststellung des MS ROSTOCK als erstes Schiff dieser Serie
erfolgte am 30.06.1967. Die Schiffe dieser Serie waren bekanntlich
mit einem Maschinenkontrollraum versehen, mit einer Brückenfernsteuerung
bestückt und hatten in der Grundkonzeption eine zentralisierte Überwachung
und einen erheblichen Umfang an Steuer- und Regelanlagen. Es fehlten
jedoch auch hier die entscheidenden technischen Voraussetzungen zum
personalsparenden wachfreien Maschinenbetrieb — es bestand keine Überwachungsmöglichkeit
außerhalb des Maschinenraumes bzw. des Hauptmotors von der Brücke.
Das war nicht überraschend, gab es doch noch keine einschlägigen
Vorschriften, die in den Verträgen für den Bau der Schiffe hätten
Berücksichtigung finden können. Die auf den beiden Kühlschiffen
gesammelten Erfahrungen waren noch zu frisch und nicht so weit
verdichtet, als dass sie mit ausreichendem Vorlauf beim Bau der Typ
XD-Schiffe hätten berücksichtigt werden können.
Der Verfasser wurde im Frühjahr 1968 in der Reparaturinspektion der
DSR eingesetzt, zuständig für die Kühlschiffe MS THEODOR STORM und
MS THEODOR FONTANE und fünf Typ-XD-Schiffe. In dieser Eigenschaft
war er einerseits mit der weiter fortschreitenden Stabilisierung des
wachfreien Betriebes auf den beiden Kühlschiffen befasst,
andererseits sah er sich mit Ausnahme der Personalproblematik mit den
gleichen Fragen konfrontiert wie rund 1,5 Jahre zuvor auf der THEODOR
STORM. Im Zusammenwirken mit der Neubauabteilung und dort wieder
Dipl.-Ing. Peter Treu wurden Konzepte diskutiert, wie man die Anlagen
auf den schon in Betrieb befindlichen Schiffen bzw. auf denen, die
sich noch im Bau befanden, so vervollkommnen könnte, dass ein
wachfreier Betrieb möglich würde. |
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4. Die Nutzung der Erfahrungen für andere
Schiffstypen
Der Verfasser hing noch den Erfahrungen der
unkomplizierten, relativ primitiven Realisierung auf MS THEODOR STORM
nach, als die erforderlichen Mittel und Anlageteile relativ leicht zu
erhalten waren, machte auch er entsprechende Vorschläge für Maßnahmen
auf den Typ-XD-Schiffen. Diese riefen hinsichtlich der materiellen
Absicherung nur Kopfschütteln hervor, trugen aber doch mit dazu bei,
dass Mitte des Jahres 1968 beim Direktor der Warnowwerft eine
Beratung stattfand, die die Schaffung technischer Voraussetzungen für
den wachfreien Maschinenbetrieb zum Inhalt hatte.
Danach wurden dann ab dem achten Schiff der Serie Kabelverlegungen
und technische Vorkehrungen getroffen, die eine spätere Umstellung
auf den wachfreien Maschinenbetrieb möglich machen sollten. Das
erste Schiff der Serie, das MS ROSTOCK, wurde im Rahmen einer
Vereinbarung durch ein so genanntes Neuererkollektiv als
Beispielschiff gesondert bearbeitet. Mit Hilfe landseitiger
Einrichtungen (Werften, Werkstatt, Neubau- und
Instandhaltungsabteilung der DSR) sowie in Eigenleistung der
Besatzung wurden die vom Neubau her fehlenden Warn-, Regel- und
Alarmeinrichtungen beschafft, montiert und erprobt. Der Umrüstungsstand
des MS ROSTOCK war im Dezember 1968 soweit gediehen, dass auf einer
Reise bis März 1969 die Maschinenanlage im Seetörn nur mit einem
Wachingenieur im Maschinenraum besetzt gefahren wurde. Es war ein
Test hinsichtlich der Zuverlässigkeit der eingesetzten Anlagenteile,
um vor allem die Art und die Anzahl von Ausfällen und Störungen zu
ermitteln.
Nachdem während der nächsten Hafenliegezeit im Rostocker Überseehafen
weitere Ergänzungen der Automationsanlagen vorgenommen wurden,
erhielt das Schiff gemäß Revisionsbericht der DSRK vom 10.06.1969
folgenden Klassezusatz:
"Die Anlagen wurden während einer 24-ständigen Probefahrt
und einer Seereise von Rostock nach Dakar in der Zeit vom 22.05. bis
zum 10.06.1969 getestet. Im Ergebnis der Erprobungen erhielt das
Shiff als Zusatz zum Klassezeichen 'S K M aut 16'."
Da einige Beauflagungen der DSRK (vor allem die selbstständige
Kipphebelschmierung der Hilfsdiesel) nur schleppend realisiert werden
konnten, verzögerte sich die endgültige Einführung des 24-stündigen
wachfreien Maschinenbetriebes auf dem MS ROSTOCK bis zum Dezember
1970. Ausgehend von den Erkenntnissen bei der Automatisierung des MS
wurden parallel zu den Arbeiten auf diesem Schiff bereits die
Schwesterschiffe umgerüstet. Mit der Anerkennung durch das
Seefahrtsamt und der DSRK der DDR im Januar 1974 waren alle 16
Schiffe vom Typ XD auf wachfreien Maschinenbetrieb umgestellt.
(Marnau, Voß 1974)
Neben diesen Maßnahmen liefen Aktivitäten zur Umrüstung älterer
konventionell betriebener Schiffe der DSR auf die Betriebsform
"Hafenwachfrei". Alle im Inland für die DSR gebauten
Schiffe wurden ab 1970 für den wachfreien Maschinenbetrieb
hergerichtet und in dieser Form nach mehr oder weniger ausgedehnten
Erprobungszeiträumen betrieben.
Bezeichnende Ausnahmen bildeten die Schiffe, die die DSR in der
damaligen Sowjetunion Anfang der 70er Jahre orderte. So waren viele
Verhandlungen über den Zeitraum von ca. 1,5 Jahren notwendig, bis
die sowjetische Seite dem Einbau eines Maschinenkontrollraumes auf
den Massengutfrachtern Typ BALTIKA als unabdingbare Voraussetzung für
weitere Schritte in Richtung wachfreien Maschinenbetrieb zustimmte.
Alle weiteren Maßnahmen einschließlich des Einbaus einer Brückenfernsteuerung
für den Hauptmotor oblagen der DSR nach der Übernahme. Auch beim
Bau der ab 1974 aus der Sowjetunion bezogenen Holzfrachter bestanden
gleiche Probleme.
Seit Ende der 60er Jahre bis zur Mitte der 70er Jahre hielt die
Entwicklung der neuen Betriebsformen in der DSR durchaus Schritt mit
dem internationalen Trend und war innerhalb der damaligen
Ostblockstaatengemeinschaft führend. Die Position der DSR spiegelt
folgendes Zitat wider:
"In
den Mitgliedsreedereien der INSA wurden per 31.03.1972 gefahren: |
Stufe 2: |
15 Schiffe
(unbesetzter Maschinenraum, besetzter Maschinenkontrollraum) |
Stufe 3,1: |
45 Schiffe
(unbesetzter Maschinenraum, unbesetzter Maschinenkontrollraum). |
Dabei stellten in der Automatisierungsstufe 3,1
der sowjetische Reederverband 7 Schiffe und die ehemals getrennten
DDR-Reedereien VEB DSR und der VEB Deutfracht Rostock 38 Schiffe.
Mit dem Betreiben von Schiffen in der Automatisierungsstufe 3,1
wurde in der DDR 1967, in der UdSSR 1969 begonnen. In der VR Polen
stellte man 1973 die ersten automatisierten Schiffe der Stufe 3,1
in Dienst." (Treu 1973) |
Später, mit sich weiter verschärfender Verknappung der
Valutamittel und einhergehender Verzögerung der Umsetzung des
technischen Fortschritts, wurde besonders hinsichtlich der
Personalreduzierung nicht mehr Schritt gehalten. Ursache dafür war
in erster Linie die hohe Störanfälligkeit der Basisanlagen
besonders auf Grund der materialwirtschaftlichen Zwänge.
Rückschläge in der Entwicklung des wachfreien Maschinenbetriebes
traten durch den Trend zur Automatisierung um jeden Preis und im größtmöglichen
Umfang ein, wie er in der DSR am Beispiel der Schnellfrachter
deutlich wurde.
Bei diesen Schiffen war durch den für damalige Verhältnisse
eindeutig zu hohen Umfang an Überwachungs- und
Automatisierungseinrichtungen eine Grenze überschritten. Diese
Grenze muss zwischen einem vertretbaren Aufwand für die Beschaffung
und den Einbau solcher Einrichtungen und deren Wartung auf der einen
Seite sowie einem realisierbaren Nutzen durch Personaleinsparung auf
der anderen Seite gezogen werden. Entsprechend war das Ergebnis. Die
Schiffe kamen über einen Probebetrieb für den wachfreien Betrieb
nicht hinaus.
Insgesamt hat sich die Betriebsform "wachfreier
Maschinenbetrieb" in der DSR jedoch durchgesetzt und bezog bis
1990 ca. 85 % der gesamten Flotte, davon wiederum ca. 25 % nur
in der Wachform "Hafenwachfrei", mit ein.
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Peter Voß' Fazit
Rund 35 Jahre (2002, die Red.)
nach Aufnahme der ersten Versuche für den wachfreien
Maschinenbetrieb auf MS THEODOR STORM kann festgestellt werden, dass
sich diese Betriebsform trotz denkbar ungünstiger Voraussetzungen
— Verharrung im konventionellen Denken und fehlender Qualifikation
des Personals in der Anfangsphase — in der DSR schnell durchsetzte.
Positiven Einfluss hatte das Fehlen von Vorschriften und die
personelle Unterbesetzung der Kühlschiffe MS THEODOR STORM und MS
THEODOR FONTANE. Die ersten Erfahrungen des wachfreien
Maschinenbetriebes auf den beiden genannten Kühlschiffen lagen zu
einem Zeitpunkt vor, als die großen Neubauserien aufgelegt wurden
bzw. im Bau waren.
Die DSR konnte über einen längeren Zeitraum der internationalen
Entwicklung bei der Einführung der neuen Betriebsform
"wachfreier Maschinenbetrieb" folgen und diese innerhalb
der Ostblockstaaten bestimmen. Dafür ausschlaggebend war eine
progressive Einstellung in der Neubauabteilung der DSR. Sie spiegelte
sich wieder in der Umsetzung solcher Konzeptionen, die sich
weitgehend am internationalen Entwicklungsstand orientierten. Das war
um so höher zu bewerten, als dies unter den Zwängen der
Valutawirtschaft durchgesetzt werden musste.
Die ab Mitte der 70er Jahre sich weiter verschärfenden
valutawirtschaftlichen Engpässe gepaart mit einer Ende der 70er
Jahre einsetzenden Fehlentwicklung im Umfang der Automatisierung der
Anlagen sowie sinkender Betriebszuverlässigkeit der Grundausrüstung
der Schiffe führten dazu, dass ein Abstand zum internationalen
Entwicklungsniveau entstand, der sich bis 1989 noch deutlich vergrößerte.
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Vielen Dank an Peter Voß
postum!
Mit freundlichen Genehmigungen vom Museum, vom Verlag und von Familie Voß
Aus: |
Publikation
ganz oben aufgeführt |
Abbildungen: |
jeweils
oben genannt |
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Fotoshow mit Shadowbox, © 2007-2010 M.J.I.
Jackson |
"Automation an Bord": Seeleute Rostock
e.V., 05.10.2019, ABa
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