Zu den Mannschaften
Zusammenleben der Besatzungen auf DSR-Schiffen vor
und nach 1990
von Bernd Beier
2023
Aus: BORDGESCHICHTEN XXI, DSR-Seeleute e.V., Freiberg, 2023
Mit freundlicher Genehmigung. Danke schön!
Wird das Zusammenleben an Bord vor
und nach dem Jahre 1990 beschrieben, müssen an erster Stelle die
Bedingungen für die Zusammenstellung der Besatzungen angesprochen
werden. Bei der Deutschen Seereederei, Rostock, erfolgte die Auswahl
der Bewerber für die Handelsflotte neben den schulischen Leistungen
und der fachlichen Qualifikation zusätzlich an den Heimatorten
mittels "Sicherheits"-Überprüfung durch die staatlichen
Organe, konkret durch das Ministerium für Staatssicherheit. Neben
der Ausbildung an der betriebseigenen Ausbildungsstätte genügte in
der Regel für die notwendige Qualifikation auch eine Fremdausbildung
auf den Werften oder anderen Betrieben. Seiteneinsteiger mit
Fremdberufen wurden als Reiniger, Motormann oder Maschinenassistent,
an Deck als Decksmann und im Bereich Wirtschaft als Steward-Helfer,
auch von weiblicher Natur, eingestellt. Die anfangs geltenden
Bedingungen für ein weiterführendes Studium an den entsprechenden
seemännischen Bildungseinrichtungen im Ostseebad Wustrow oder Warnemünde
bestanden aus zwei Jahren an Fahrzeit als Vollmatrose bzw.
Maschinenassistent, davon zwölf Monate Dampffahrzeit für den
Bereich Maschine.
Stammbesatzungen auf den Schiffen der DSR wurden oft über Jahre in
wesentlich unveränderter Zusammensetzung gefahren, was sich sehr
vorteilhaft aufs Bordklima auswirkte. Der Verfasser selbst fuhr in
diesem Rahmen viele Jahre auf MS FRIEDEN, dort vom Maschinenassi bis
zum I. Ingenieur, und als Leitender Technischer Offizier auf MS
RONNEBURG und MS FRANKFURT/ODER. Die Kapitäne und leitenden
Offiziere trugen in der Regel nicht nur die Verantwortung für ihren
fachlichen Bereich, sondern übten auch Einfluss auf die kulturelle
und politische Freizeitgestaltung des Bordlebens, auf das soziale
Miteinander insgesamt aus. Und das gestaltete sich auf den Schiffen
der DSR in vielfältigster Weise durch die Eingliederung der
Besatzungsmitglieder in Neuerer- und Reservistenkollektive, durch die
Parteiarbeit (Parteiversammlungen, Parteilehrjahr), durch die
Weiterbildung der SED-losen in der "Schule der sozialistischen
Arbeit", gemeinhin als "Rotlichtbestrahlung" gewürdigt
oder als "Stunde der toten Augen" von manchem wertgeschätzt.
Dazu kamen die Zusammenkünfte der jüngeren Genossen als
initiativreiche Kaderreserve in der Freien Deutschen Jugend (FDJ)
oder die von Mitgliedern in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische
Freundschaft (DSF), meist in vollzähliger Besatzungsstärke, welche
sich im Wesentlichen auf die beliebten Russenpartys mit Speck,
frischem Brot und, nicht zu vergessen, Wodka beschränkten. Hinzu
kamen die unterschiedlichsten individuellen und gemeinschaftlichen
Freizeitbeschäftigungen, die im erheblichen Maße durch die Reederei
gefördert wurden, sei es durch die Ausstattung der Schiffe mit einer
Bordbücherei, mit Filmen und Geräten für abendliche Vorführungen
in den Messen oder die Einrichtung eines Fotolabors, in dem
Mitglieder des Fotozirkels ihrem interessanten Hobby nachgehen
konnten. Das taten sie sehr oft nicht nur zu ihrem eigenen Vergnügen,
sondern auch für die Allgemeinheit, zum Beispiel zur Gestaltung von
Besatzungsbildern oder Karten anlässlich von Feiertagen, sehr oft
auch zum Füllen der Seiten in der Betriebszeitung VOLL VORAUS. Nicht
unerwähnt bleiben sollen die freiwilligen unbezahlten Arbeitseinsätze
nach Art der sowjetischen sogenannten Subbotniks, vor allem wenn es
einmal pressierte.
Und schließlich bleiben da noch die beliebten Bordfeste in der vielfältigsten
Ausgestaltung als Lumpenbälle, Barabende oder anlässlich der
entsprechenden Feiertage wie 1. Mai, Weihnachten, Silvester etc. in
fröhlicher Runde. Last but not least bei Äquatorüberquerungen
sorgten die mit viel Gaudi verbundenen Tauffeierlichkeiten für
bleibende Erinnerungen positiver oder negativer Art.
Durch die von der Reederei bereitgestellten finanziellen Mittel
wurden zahlreiche gemeinsame Ausflüge in den verschiedensten Häfen
ermöglicht, die ein Seemann während seiner Freiwache sonst wohl
kaum unternommen hätte, selbst wenn er die finanziellen Mittel dazu
besessen haben sollte. Oft befand sich bei solchen Gelegenheiten die
halbe Crew unterwegs. Das hatte rein gar nichts mit dem vielgeschmähten
Kollektivismus zu tun. Erwähnt an dieser Stelle seien Fahrten zu den
Pyramiden von Gizeh und andere antike Stätten im Mittelmeerraum oder
nach Brüssel mit Besichtigung des Schlachtfeldes von Waterloo, von
Rotterdam aus nach Delft zu dessen blau-weißen Fayencen oder nach
Amsterdam ins Rijksmuseum zur Stadtwache von Rembrandt,
unvergessliche Safaritouren in Ostafrika, Busreisen ins Hochland von
Sri Lanka und zu Stätten früherer indischer Hochkulturen und schließlich
streng begleitete Fahrten zu den heißen Quellen in den Bergen nahe
des nordkoreanischen Chungjin. Stadtrundfahrten in Havanna, Bombay,
Buenos Aires waren ebenso beliebt wie die Fahrt vom Hafen Santos nach
Sao Paulo, genauso wie Bootstouren in den Backwaters von Cochin,
durch das Mangrovendickicht von Port Klang, in der Bucht von
Paranagua/Brasilien, durch die Sundarbans in Bangladesh, von
Banjuwangi auf Java hinüber zur Insel Bali oder auf den
westafrikanischen Urwaldflüssen (In jedem Seemann steckt schließlich
ein kleiner Columbus und zugleich gegensätzlich ein Gärtner, der
sich dort mit tropischem Gewächs für die Kammer oder daheim
versorgte.), Tauchfahrten fanden im Roten Meer oder vor der
kubanischen Küste statt, um nur einige zu nennen. Teilweise wurden
derartige Attraktionen auch durch die örtlichen Reedereivertreter,
Handelsvertretungen oder DDR-Botschaften organisiert, die sich damit
für die kleinen Verpflegungspäckchen (Schwarzbrot und saure
Fischchen) aus den Lasten revanchierten oder für die Einladung an
Bord mit der ganzen Familie samt Kino, Kaffee und Kuchen für die
Kinder und Schiffsbesichtigungen für die Erwachsenen. Es ist kaum
davon auszugehen, und das sei ausdrücklich betont, dass sich
bundesdeutsches Botschaftspersonal zu solchen Anlässen auf Schiffen
Hamburger Reedereien sehen ließ. Das hatten die Herrschaften in
vielerlei Hinsicht nicht nötig. Der Propagandarummel um die
sogenannte "sozialistische Menschengemeinschaft" wurde zwar
vielfach belächelt, aber an Bord wurde sie gelebt.
Um bei der Verpflegung zu bleiben, müssen unbedingt auch noch die
Grillfeste an Deck erwähnt werden oder solche an Land in den südamerikanischen
Häfen bei Asado- und Churrasco-Essen. Darüberhinaus seien die
zahlreichen sportlichen Wettkämpfe in den Hafenstädten erwähnt,
wobei es sich im Wesentlichen um Fußballspiele gegen andere
Schiffsbesatzungen handelte und die damit kein Alleinstellungsmerkmal
der Freizeitgestaltung von DSR-Besatzungen bedeuteten. Diese Spiele
wurden bis hin zu regelrechten Turnieren ausgetragen, wie zum
Beispiel im koreanischen Hafen Chungjin, um die dortigen Liegezeiten
zu überstehen, oder auch in Rotterdam. Wenn man so will, können
diese Matches als innerbetriebliche, vertrauensbildende Maßnahme
bezeichnet werden, da Offiziere und Mannschaften, Deck und Maschine
gemeinsam dem runden Leder nachjagten.
Wenn das Klima an Bord von DSR-Frachtschiffen zu beschreiben ist,
spielen Frauen eine nicht unbedeutende Rolle, seien es die
mitreisenden Ehefrauen oder die weiblichen Besatzungsmitglieder aus
dem Bereich der Wirtschaft. Letztere bildeten das
DSR-Alleinstellungsmerkmal bei der Zusammensetzung von Besatzungen
auf deutschen Schiffen. Der alte Spruch, dass der von Bord bleiben
solle, der nicht über die Reling pinkeln kann, wurde damit
widerlegt. Im Großen und Ganzen kam es durch ihre Anwesenheit zu
keinen ernsten zwischenmenschlichen Konflikten, wenn auch nicht ganz
ausgeschlossen. Die Rollen Wer mit Wem waren in der Regel schnell
geklärt.
Das Bordleben auf Rostocker Handelsschiffen bis 1990 in seiner
speziellen Art wurde schon vielfach sowohl in den BORDGESCHICHTEN als
auch an anderer Stelle beschrieben. Es ist müßig weiter ins Detail
zu gehen. Heute läuft von dem oben Beschriebenen an Bord der Schiffe
nichts mehr. Selbst die Kapitäne erhalten kaum noch Einladungen an
Land. Früher wurden sogar "gewöhnliche"
Besatzungsmitglieder zum Beispiel zu asiatischen Essen in Hongkong,
Port Klang oder Djakarta eingeladen oder eben von den Agenturen in Südamerika
zum reichlichen Fleischverzehr.
Das vorstehend Genannte hängt zweifellos mit der Rolle der DSR als
Staatsreederei und den politischen Rahmenbedingungen im Lande
zusammen. Dort wie auch an Bord war, um Charakteristisches zu
benennen, der sozialistische Wettbewerb als ein Werkzeug zur
Produktivitätssteigerung nicht wegzudenken. Dazu gehörten
Haushaltsbuch, das Eingehen von Unfällen und Schäden in die
Wettbewerbsbilanz, das Einschreiten der Konfliktkommission bei
Pflichtverletzungen Einzelner, gesellschaftliche Aktivitäten,
Eigenleistungen, Neuererwesen (teilweise auch -unwesen), Überstunden-,
und Bereitschaftsstundenlimit und noch mehr. Teilweise wurde dieser
Wettbewerb als überflüssig betrachtet, andererseits hat er die
Besatzungen mit geformt. In nicht so guter Erinnerung bleibt, dass
sich zum Reiseende die Zusammenkünfte häuften, denn die
entsprechenden Berichte mussten erstellt werden. Alles in allem
handelte es sich um eine unbeschreibliche Bürokratie. Gleichwohl
muss festgestellt werden, dass diese heutzutage in anderer Form noch
weit umfangreicher existiert.
In der Regel sprachen die Besatzungen stolz über ihre Schiffe,
achteten auf einen gut funktionierenden "Dampfer", auf den
äußeren und inneren Gesamteindruck. Um dieses Ziel zu erreichen,
wurden von ihnen enorme Leistungen vollbracht. Zur Verbesserung der
Effektivität wurden in den Jahren 1970/71 die Komplexbrigaden gegründet.
Die Meinungen dazu liefen anfangs auseinander, aber bald ließ sich
feststellen, dass sich der Bordbetrieb durch die erzielte Leistung
bei gleichen eingesetzten Mitteln besser gestalten ließ. Um die
sozialen Bedingungen zu verbessern, wurden komplette Ablösebesatzungen
eingeführt. Hierbei ging es vor allem auch um die Abgeltung der sich
häufenden freien Tage. Mehrere hundert davon am Stück pro Nase
waren vorher keine Seltenheit. Die finanziellen Anreize, bei der DSR
zur See zu fahren, hielten sich in engen Grenzen. Gleichwohl sind
diejenigen, die damals dabei waren, noch immer stolz zu dieser oder
jener Besatzung gehört zu haben. Man konnte sich aufeinander
verlassen. Zahlreiche Besatzungen treffen sich heute noch immer zu
regelmäßigen, teils jährlichen Zusammenkünften wie zu einer
Familienfeier. Auch für mich bedeutete das Schiff mein zweites
Zuhause. Hier sei die Kammer auf der FRANKFURT/ODER besonders erwähnt.
Erste Erfahrungen mit ausländischen Seeleuten konnte ich auf diesem
Schiff noch vor 1990 sammeln. Wir fuhren mit sechs Namibiern,
zwischen 18 und 36 Jahre alt, zwecks deren Ausbildung an Bord. Man
musste sich erst aneinander gewöhnen, denn es kam hier auch einmal
zu einem unangenehmen Zwischenfall. Die Decksgang war außenbords mit
Stellagen beim Malen beschäftigt und die Vorgängerschicht hinterließ
den Schriftzug: "Hallo, hier geht es weiter, ihr Neger". Ob
das nun Rassismus im klassischen Sinne war oder lediglich eine
Frozzelei unter Arbeitskollegen sei dahingestellt, auf jeden Fall war
es ein Politikum dieses N-Wort an die Bordwand zu malen und einfach
unüberlegt.
Zur Wendezeit wurde ich zu einem Crewleasing-Einsatz auf dem VCS
AQUITANIA (Erstes Schiff der Äquator-Serie von der Neptun-Werft) überzeugt.
Wir arbeiteten mit Philippinos zusammen und befanden uns im
Ostafrika-Einsatz. Dieser dauerte sechs Monate. Der technische
Zustand des Schiffes ließ sich mit einem Naja umschreiben.
Erfreulich gestaltete sich die Zusammenarbeit und das Zusammenleben
mit den Philippinos. Um allen Missverständnissen aus dem Wege zu
gehen, wurde extra ein Merkblatt ausgereicht. Als überaus wohltuend
wurde das Minimum an Akten empfunden. Zur Kostenminimierung waren die
Ressorts Maschine und Deck getrennt. Das Verhältnis des
vorhergehenden LTO zur Crew ließ sich wie der technische Zustand des
Schiffes ebenfalls mit Naja charakterisieren. Die Klimaanlage wurde
getrennt auf Backbord- und Steuerbordseite betrieben. An Steuerbord
wohnten der Kapitän und der Chief. Diese Anlage funktionierte
selbstverständlich, die an Backbord nicht. Ich habe sie wieder in
Funktion gebracht. Seitdem erfüllten mir die Philippinos jeden
Wunsch.
Der Kapitän bestellte für sich, Chief Mate und Chief Engineer bei
der Reederei weiße Kombis. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt,
uns stünden nur blaue und beigefarbene zu. Damit wussten wir wo wir
stehen. Die Verpflegung lag auf einem guten Niveau, bei den Hafenan-
und abläufen wurden warme Speisen gereicht. Die Kombüse war mit
zwei Köchen besetzt. Hierauf legte die Firma Wert. Die beste
Motivation für das Engagement der Besatzung bestand auch hier in
Grillabenden, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Die Arbeitszeit
betrug täglich zwölf Stunden für sämtliche Besatzungsmitglieder,
ausgenommen davon der Kapitän. Alles in allem haben wir nach außen
hin bei diesem besonderen Einsatz einen guten Eindruck hinterlassen.
Der technische und optische Zustand des Schiffes konnte wesentlich
verbessert werden.
Nach dieser Abordnung stieg ich wieder auf die FRANKFURT/ODER auf und
arbeitete weiter mit homogenen rein deutschsprachigen DSR-Besatzungen
zusammen. Allerdings setzte deren schrittweises Reduzieren ein. Der
Eisbär und der Elektriker wurden ersatzlos gestrichen, die Aufgaben
übernahmen der E-Ingenieur und diejenigen vom Eisbär der
Storekeeper und der Chief. In dieser Konstellation ging es dann für
mich auf den SATURN-Schiffen weiter. Ich wurde auf der MECKLENBURG
eingesetzt. Die dort vorhandene überkommene IT-Technik, einschließlich
der Dienstprogramme, wurden bereits nicht mehr genutzt. Das war
eigentlich schade, man hatte sich daran gewöhnt. Die gesamte Bürokratie
rund um die gesellschaftliche Arbeit war natürlich schon abgeschafft
worden. Dafür kamen Schritt für Schritt neue bürokratische
Aufgaben dazu, und die waren nicht gerade wenig im Umfang.
Mit der Ausflaggung der Schiffe nach Liberia ging der Austausch der
Besatzungen weiter. Die einzelnen Offiziersränge wurden schrittweise
mit osteuropäischen, indischen oder philippinischen Offizieren
besetzt. Die Kombüsencrew wurde auf einen Koch reduziert. Der kam
aus Osteuropa oder von den Philippinen. Gleichwohl blieb an der
Qualität des Essens nichts auszusetzen. Die Funktionen des
Bootsmanns und des Storekeepers wurden durch Seeleute der Kiribati-
und Tuvalu-Inseln besetzt, ebenfalls die Mannschaftsdienstgrade.
Deren seemännische Ausbildung betrug auf ihrer Insel nur ein Jahr.
In der Seefahrtschule auf Kiribati gibt es dafür lediglich
Rettungsbootsanlagen mit Freifalldavit und üblichem Davit, Brandbekämpfungseinrichtungen
und einen kleinen Dieselmotor. Die Hauptaufgabe dieser
Lehreinrichtung ist die Disziplinierung der Schüler für den
Bordbetrieb, da der Lebensrhythmus auf den Inseln nicht vergleichbar
mit dem unserer Industrieländer ist. Es war teilweise erstaunlich
wie schnell sich unter diesen Voraussetzungen die meisten der
Insulaner gute Kenntnisse und Fertigkeiten angeeignet haben. Ein
Motormann namens "Mr. Molu" kaufte sich jede Reise in
Hongkong elektrische Kleingeräte wie Bohrmaschine, Motorsäge usw.
Später erfuhr ich, dass er auf seiner Insel einen eigenen
Servicebetrieb aufgemacht hat.
Als die 2700-TEU-Schiffe in Dienst gestellt wurden, (TEU -
Twenty-foot Equivalent Unit - Maß für die Kapazität von
Containerschiffen) hieß das Ziel mit Minimalbesatzungen noch unter
deutscher Flagge zu fahren. Die Brücken wurden dazu für den
Ein-Mann-Betrieb nachgerüstet. Das hat sich später aber erledigt,
da auch diese Frachter ausgeflaggt wurden. Die Schiffe waren zwar
moderner, aber die Schäden und Ausfälle an den Anlagen lagen auf
hohem Niveau, trotz großer, bekannter Namen der Hersteller. Wir
haben in Größenordnungen Zylinderköpfe gewechselt wie auf den Typ lV-Schiffen
die Kolben gezogen wurden. Das meiste änderte sich an der Funktion
des Kapitäns. Auf Grund der neuen technischen Möglichkeiten hatte
er die gesamten funkbetrieblichen Aufgaben zu übernehmen. Hinzu
kamen die Bestellungen für die Kombüse, die Lohnauszahlung für die
Ausländer und die Bordkasse allgemein. Befand sich das Glück auf
meiner Seite, wurde ab und zu ein deutscher E-Ing. und ein
Schiffsmechaniker gefahren.
Auf den 2700-TEU-Schiffen existierte nur eine Messe, die gemeinsam
von Offizieren und Mannschaft genutzt wurde. Aber Schritt für
Schritt setzten sich unsere Insulaner in die Schwarzmesse ab. Sie
wollten schlicht unter sich sein. Durch den vollkommen anderen
Arbeitszyklus ließ sich die Freizeit einfach nicht mehr sinnvoll
gestalten. Natürlich gab es auch hier eine Bücherei, einen
Sportraum, ein Schwimmbad, eine Sauna und einen Tagesraum.
Einrichtungen, die auch genutzt wurden. Vom Reeder wurden auch Gelder
zur Anschaffung von Musikinstrumenten oder Sportgeräten
bereitgestellt. Aber wie bereits angedeutet, die beliebtesten
gemeinsamen Veranstaltungen hießen Grillabende, bei denen auch
gesungen oder Instrumente gespielt wurden. Karaoke-Abende erfreuten
sich auch größter Beliebtheit. Die christlichen und staatlichen
Feiertage wurden gemeinsam zelebriert. Teilweise konnten auch
Stammbesatzungen in bestimmten Funktionen gefahren werden, abhängig
von Kapitän und LTO.
Auch während dieser Phase gab es erwähnenswerte Ereignisse. Wir
befanden uns westgehend im Atlantik unterwegs und der Kapitän teilte
mir mit, dass wir vier Stunden "Lose" im Fahrplan hätten.
Wir dürften daher an der Hautmaschine arbeiten. Also machten wir
Kolbenkontrolle. Auf der Reise fuhr ein Lehrer der Seefahrtsschule
Cuxhaven mit, der eine Dokumentation für die Fehlersuche an
Schalttafeln für seine Studenten erstellt hat. Die Motormänner
motivierte ich zum Angeln und deutete an, wenn wir beizeiten mit der
Kontrolle fertig würden, könnten zwei Mann hoch gehen und die Angel
auswerfen. Also flott, flott und der Kommentar des Dozenten lautete:
"Herr Beier, das geht ja bei Ihnen ab wie in einer Fabrik".
Die Motorleute holten zwei junge Haie aus dem Wasser und zeigten sie
mir ganz stolz. Am Abend luden sie mich zu einer Haifischsuppe ein.
Die war aber nicht ganz nach meinem Geschmack.
In bestimmten Häfen gab der Kapitän dem Bordvertreter Geld für
Fischeinkauf auf dem Markt in die Hand. Abends wurde dann gegrillt.
Mit solchen kleinen Gesten konnten die Stimmung und das Bordklima günstig
beeinflusst werden. Zeitweise fuhr ich als einziger Deutscher an Bord
und arbeitete auch mit einem estnischen und einem ukrainischen Kapitän
zusammen, was problemlos lief. Die Ausgabe von Alkohol wurde
unterschiedlich gehandhabt. Offiziere bekamen in der Regel wöchentlich
Bier und auch harte Getränke. Die Mannschaften erhielten nur Bier.
Manche Kapitäne wollten für die Mannschaften überhaupt kein Bier
herausgeben. Das war nicht unbedingt klug. Andere verhielten sich zu
großzügig. So ereigneten sich auch ernste Vorfälle, wie das
Aufbrechen der Bierlast oder einen Todesfall durch eine
Messerattacke. Der Verletzte wurde einfach liegen gelassen und
verblutete, weil keiner der Anwesenden Hilfe holte. Der Kapitän kündigte
daraufhin nach der Reise. Man muss allerdings gestehen, dass es auch
zu DSR-Zeiten ähnliche Vorfälle gab.
Das Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit den verschiedenen
Nationalitäten auf engstem Raum war aber in der Regel respektvoll
und freundlich. Die Qualifizierung der Offiziere lag auf sehr
unterschiedlichem Niveau. Jene aus den osteuropäischen Ländern und
aus Indien waren in der Regel sehr gut für ihre Tätigkeit
qualifiziert. Bei den Philippinos lag die Sache etwas anders.
Teamwork gestaltete sich teilweise schwierig. Einige Offiziere
vertraten die Auffassung: "Ich habe ein Patent, kann alles und
weiß alles". Wir hingegen hatten aus unseren früheren Tagen
die Mahnung mitgenommen, dass nach Abschluss der Lehre oder dem
Studium das Lernen erst richtig losgehe, entsprechend des Einsatzes.
Zunehmend wurde auch versucht, Machtansprüche entsprechend der Zahl
der unterschiedlichen Nationalitäten an Bord geltend zu machen.
Gleichwohl war bei gutem Willen von allen Seiten eine fruchtbare
Zusammenarbeit durchaus möglich. Gemeinschaftliche Ausflüge wie
einst auf DSR-Schiffen waren auf Grund der kurzen Liegezeiten, des
Arbeitszyklus und der Sicherheitsbedingungen in den Häfen nicht mehr
durchführbar. Individuell konnten sich das einige Offiziere
entsprechend der Liegezeit immer noch ermöglichen. So unternahmen
wir einmal eine Ausfahrt unter Polizeischutz von Port Said nach Kairo
oder ich fuhr von Port Klang nach Kuala Lumpur.
Aber mit DSR-Zeiten war und ist die Seefahrt nicht mehr vergleichbar,
auch wenn wir manchmal beklagen mussten, zu viel betreut zu werden.
Heute ist der Beruf des Seemanns lediglich ein Job wie jeder andere,
das Mittel zum Geldverdienen. |
Wir danken dem DSR-Seeleute e.V. Freiberg und der Redaktion der
BORDGESCHICHTEN für die mitreißende Buchreihe über unsere Seefahrt
durch all die Jahre! |
"Zu den Mannschaften": Seeleute Rostock e.V., 13.12.2023 |
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