Im Herbst 1982
wurde ein Liniendienst Golf/Indien
ins Leben gerufen. Die reinen Golfanläufe mit Leerfahrt nach Europa
waren ja unrentabel. Also ging es nach den Golfhäfen dann in den
Urwald nach Chalna/Bangladesh, um anschließend die ganze indische Küste
abzufahren. Die Reisedauer stieg dadurch von 60 auf 130 Tage.
Vier Jahre
war ich in den 80'ern mit der "Suhl" auch im
Golf-/Indiendienst. Auslaufend ging es voll Schiff in den Perversen Golf
und dann leer in den Golf von Bengalen zu den drei berüchtigten Häfen
Chittagong, Chalna und Calcutta.
Ich erinnere mich gut. In Chalna, mitten im Urwald, lagen wir im Fluss
vor Anker. Bei Einsetzen der Dunkelheit stürzten sich aller Art Insekten
auf das Schiff. Die Bulleyes waren schwarz, wenn in der Kammer Licht
brannte. Nächsten Morgen lag das ganze Deck voll toter Insekten
verschiedenster Größe. Es wurde alles verkloppt, was nicht niet- und
nagelfest war, Stauholz, sogar alte Schieber aus der Schrottkiste gingen
weg. Dafür gab es eimerweise Shrimps. Diese wurden dann nach Auslaufen
an Deck in einem riesigen Topf gekocht. Die ganze Crew war dabei. Wir
haben den ganzen Abend gepult und gegessen. Anschließend hatte ich eine
fette Eiweißvergiftung. Ist auch eine Lebenserfahrung.
Calcutta war auch immer spannend. Vom Lotsen bei Saga Roads bis zu den
Docks brauchte man mindestens 32 Stunden den Hugly River hoch. Auf dem
Fluss kam uns der ganze Abfall dieser riesigen Stadt entgegen.
Angefangen von toten Kühen bis zu Fäkalien. Später hat mich nie
gewundert, wenn ich in den Nachrichten gehört habe, daß die Hindus bei den Saga Roads
das heilige Bad genommen haben und wenig später die
Cholera ausbrach.
Diese 32 Stunden auf dem Hugly konnte das Schiff nie in einem Ritt
absolvieren. Durch die Tide musste mindestens einmal auf dem Fluss
geankert werde. Nachts kamen dann die Flusspiraten und haben alles
geklaut, was nicht irgendwo versteckt war. Die Feuerlöschschläuche waren
unter Druck, die Deckscrew ging Wache, alle Windenhäuser verschlossen
und die Messingpeilverschlüsse entfernt. Plötzlich hörte man Klack,
Klack, Klack, und die Enterhaken flogen. Der Bootsmann sah Hände, die über
die Reling greifen, und schlug mit einem Kantholz zu. Ein Schrei, und der
Kollege flog ins Wasser. In der Zwischenzeit war das Deck voller Inder.
Auf dem Weg zu den Docks sind wir auch an Haldia Port vorbei. Ich
erinnere mich gut, im Mai 1984 lag dort ein sowjetischer Bulkcarrier,
welcher Kali löschte. 6 Monate später, beim nächsten Anlauf Calcuttas,
lag dieses Schiff immer noch an der Pier. Die Inder haben mit
bergmännischen Mitteln den fest gewordenen Kali aus dem Schiffsbauch
geschlagen.
Um in die Docks zu kommen, musste man in Calcutta durch eine Schleuse.
Die "Suhl" passte von der Schiffsbreite gerade noch so durch. Maschine
durfte nicht benutzt werden. Normalerweise würden wir uns mit unseren
Winden auf der Back selber reinziehen. Die Poller dort waren aber so
marode, dass dieser Plan nicht funktionierte. Stattdessen standen auf
beiden Seiten der Schleuse Menschenmassen. Diese griffen die
Festmacherleinen und zogen uns mit menschlicher Kraft in die Schleuse.
Ich habe so etwas nie wieder gesehen.
An der Pier lagen wir meistens zwei Wochen. Dort stand ein alter
MAN-Kran. Dieser hob nicht mehr und bewegte sich auch nicht. Das Schiff
musste ständig geshiftet werden, um an alle Luken zu kommen.
Im Winter wurde es für indische Verhältnisse verdammt kalt. Eines Nachts
hatten wir Feueralarm in der Maschine. Ich bin runter getobt und in der
Tat, es roch verbrannt. Ich konnte aber keine Brandquelle ausmachen. Ich
bin dann raus an Deck, und dann war mir klar, woher der Brandgeruch kam.
Die ganze Stadt war unter einer riesigen Qualmwolke, verursacht durch
getrocknete Kuhfladen, die als Brennmaterial verwendet wurden.
Es ging dann regelmäßig weiter über Madras, Colombo, Cochin, Mangalore,
Bombay und Karachi zurück nach Westeuropa.
In
Colombo wurden regelmäßig Ausfahrten ins Bergland nach Kandy
angeboten, von der die Besatzung reichlich Gebrauch machte. Die Fahrt
durch tropische Landschaften war für uns alle exotisch. In Kandy wurde
dann der berühmte Zahntempel besichtigt, das größte Heiligtum der
Buddhisten.
In Cochin wurden wir zweimal vom Reedereivertreter zum Essen ins
Malabar-Hotel eingeladen. Mein Gott waren die Saucen scharf.
In Mangalore wurden meistens Granitblöcke geladen, die dann im damals
noch existierenden Überseehafen in Bremen gelöscht wurden. Das
Hafenbecken von damals ist mittlerweile zugeschüttet worden.
In Bombay lagen wir tidefrei in den Alexandradocks, manchmal wochenlang.
In den Wintermonaten konnte man in der Indienfahrt den Fahrplan halbwegs
einhalten. Das änderte sich in der Monsunzeit dramatisch. Diese beginnt
jedes Jahr am 1. Juni. Es gibt dann jeden Tag unwetterartige Regenfälle.
Ich erinnere mich gut, so gegen 14 Uhr wurde es am Horizont schwarz.
Dann wurden hektisch alle Luken zugefahren. Die kostbaren Gewürze
durften nicht nass werden. Es schüttete dann ca. eine Stunde vom Himmel.
Danach riss die Wolkendecke auf, und das Wasser fing sofort an zu
verdunsten. Man konnte die Uhr nach den Regenfällen stellen. Ich habe
mich immer wie in einer Waschküche gefühlt. Das Atmen fiel schwer. Ich
habe nie verstanden, wie Menschen ohne Aircon hier leben können.
Der Monsun entsteht, wenn die Sonne am nördlichsten über der
Nordhalbkugel steht und das Hochland von Tibet aufheizt. Die warme Luft
steigt nach oben, und die kühlere Luft aus dem Süden strömt
normalerweise nach. Durch die Rotation der Erde wird die Strömung durch
die Corioliskraft aber abgelenkt von Südwest auf Nordost. Im Frühjahr
hat sich das Wasser über dem Indischen Ozean stark erhitzt. Die Luft ist
voller Feuchtigkeit, die sich dann über dem indischen Subkontinent
abregnet. Ein jahrhundertealtes Wetterphänomen.
Bei der Hamburg-Süd hatte ich dann auch noch mal drei Einsätze in der
Indienfahrt. 2012 schickte die Reederei drei Rio-Schiffe in die
Indienfahrt. Es war die Blütezeit der Piratenangriffe. Der Fall "Hansa
Stavanger" lag gerade einmal drei Jahre zurück. Am 4. April 2009 wurde
das Schiff von somalischen Piraten gekapert. Die gesamte Besatzung war
vier Monate in der Hand der Piraten, auch deswegen, weil die Reederei
Leonard & Blumenberg ständig um das Lösegeld mit den Piraten gefeilscht
hatte. Peinlich, dass ausgerechnet der Miteigentümer der Reederei Frank
Leonard damals Chef des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) war.
Fast alle Kapitäne und Chiefs hatten sich geweigert, dort zu fahren. Ich
habe mich freiwillig gemeldet, was nur müdes Lächeln meiner Kollegen
erzeugte. Ich wollte mal sehen, wie Indien 30 Jahre nach meinen ersten
Erfahrungen mit dem Subkontinent aussieht.
Die Schiffe wurden für die Fahrt durch das Krisengebiet vorbereitet. Die
Außenschotten wurden mit Doppel-T-Trägern verrammelt. Im Bb-Passageway
wurde eine Zitadelle eingerichtet, ausgerüstet mit Notproviant für 32
Stunden, batteriebetriebenem Sat-Telefon, Notbeleuchtung und
Trockenklos. Das Problem war nur die Temperatur. Bei mehr als 45 grd
kann kein Mensch lange überleben.
Letzter Hafen vor dem Kanal war Cagliari/Sardinien. Dort wurde das
Schiff ladungsmäßig fit gemacht für den Suezkanal. Für die Kanalgebühren
ist wichtig, dass die Containerlagen an Deck so gering wie möglich sind.
Auf Containerschiffen werden von den Focal points gerne Türme gebaut.
Im Suezkanal kamen dann quasi mit dem Verlassen der Lotsen in Suez die
Sicherheitsleute mit ihrer ganzen Ausrüstung an Bord. Anfangs war eine
britische Firma verpflichtet worden. Nach der ersten Reise kamen dann 4
Deutsche von der Münchner Result Gruppe. Die Waffen wurden im F-Deck in
einem leeren Store deponiert, verschlossen und versiegelt.
Erster Hafen war das verhasste Jeddah in Saudi Arabien. Kein Landgang
und Hitze ohne Ende.
Danach wurde das Schiff in Stacheldraht eingepackt, Feuerlöschschläuche
fest an der Reeling montiert und Dummies gebaut. 2012 mit der "Rio
Bravo" sind wir dann auch Ausgangs Bab el Mandeb angegriffen worden. Die
Jungs hatten der Crew vorher Ihr Konzept erklärt. Es muss unbedingt
verhindert werden, dass die Skaffs sich näher als 300m dem Schiff
nähern können, weil die Piraten russische Panzerfäuste (RPG 9) in Ihrem
Besitz hatten. Als sich uns eines der Speedboote näherte, schossen die
Sicherheitsleute auf den Bug des Fahrzeugs. Diese Ballerei ist wohl
bemerkt worden. Das Boot drehte um, und von da an sind
Hamburg-Süd-Schiffe nie mehr behelligt worden. Die Sicherheitsleute sind
die ganze Rundreise von Suez bis Suez an Bord geblieben. Ein Einsatz
kostete der Reederei 100.000 Euro.
Fotos: Harald Mertin, Rövershagen
Angelaufen wurden nach Jeddah, Jebel Ali, Karachi, Nava Sheva und
Mundra. Indiens Häfen haben ein gewaltiges Tiefgangsproblem. Die
Container ganz Indiens werden in zwei Häfen gefeedert. Größter
Containerumschlagplatz Indiens ist Nava Sheva in der Mumbay Bay. Bei
Hochwasser max. 12 m Tiefgang. Die Zeiten der Alexandradocks in Bombay,
wie ich diese noch kenne, sind vorbei. Es gab 2015 nur einen
Tiefwasserhafen in Indien, und das ist Mundra im Golf von Kutch. Mundra
ist der größte Kohleimporthafen Asiens mit 16 m Tiefgang. Als ich 2014
mit der „Rio de la Plata“ dort war, brannte die ganze gelagerte Kohle im
Hafen durch Selbstentzündung. Man hatte versucht zu löschen, aber
aufgegeben. Nun sollten die Monsunregenfälle helfen. Das ganze Schiff
war schwarz von dem Kohlenruß. Die Deckswachen sahen aus wie Bergleute
nach der Schicht. Die Hamburg Süd hatte zwar protestiert, aber das schien
dort niemanden zu interessieren.
Indien ist nach wie vor ein bescheidenes Land. Dreckig, staubig und die
Infrastruktur am Boden. Gleichgültige Menschen überall. Regelmäßig gibt
es stundenlange Black-outs. Dann kann bei DP World und APM Terminals
auch nicht mehr gearbeitet werden.
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Indien als
Tigerstaat China mal ablösen könnte.
Niedergeschrieben von
Harald Mertin nach Erinnerungen, erzählt seinem Enkel Ben
Herzlichen Dank an Harald für seine
Schilderung der Indienfahrt!
Fotos: oben angegeben
"Indien Fahrt": Seeleute Rostock
e.V., Juli 2024
Musik: 2002, space night - Roadcrossing In Delhi
(KARUNESH - Punjab)