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Indien Fahrt

Harald Mertin, Rövershagen | zsoundsw.gif


Flag_of_India-3.jpgEmblem_of_India.jpgIm Herbst 1982 wurde ein Liniendienst Golf/Indien ins Leben gerufen. Die reinen Golfanläufe mit Leerfahrt nach Europa waren ja unrentabel. Also ging es nach den Golfhäfen dann in den Urwald nach Chalna/Bangladesh, um anschließend die ganze indische Küste abzufahren. Die Reisedauer stieg dadurch von 60 auf 130 Tage.

MS_414_SUHL.jpgVier Jahre war ich in den 80'ern mit der "Suhl" auch im Golf-/Indiendienst. Auslaufend ging es voll Schiff in den Perversen Golf und dann leer in den Golf von Bengalen zu den drei berüchtigten Häfen Chittagong, Chalna und Calcutta.

Ich erinnere mich gut. In Chalna, mitten im Urwald, lagen wir im Fluss vor Anker. Bei Einsetzen der Dunkelheit stürzten sich aller Art Insekten auf das Schiff. Die Bulleyes waren schwarz, wenn in der Kammer Licht brannte. Nächsten Morgen lag das ganze Deck voll toter Insekten verschiedenster Größe. Es wurde alles verkloppt, was nicht niet- und nagelfest war, Stauholz, sogar alte Schieber aus der Schrottkiste gingen weg. Dafür gab es eimerweise Shrimps. Diese wurden dann nach Auslaufen an Deck in einem riesigen Topf gekocht. Die ganze Crew war dabei. Wir haben den ganzen Abend gepult und gegessen. Anschließend hatte ich eine fette Eiweißvergiftung. Ist auch eine Lebenserfahrung.

Calcutta war auch immer spannend. Vom Lotsen bei Saga Roads bis zu den Docks brauchte man mindestens 32 Stunden den Hugly River hoch. Auf dem Fluss kam uns der ganze Abfall dieser riesigen Stadt entgegen. Angefangen von toten Kühen bis zu Fäkalien. Später hat mich nie gewundert, wenn ich in den Nachrichten gehört habe, daß die Hindus bei den Saga Roads das heilige Bad genommen haben und wenig später die Cholera ausbrach.

Diese 32 Stunden auf dem Hugly konnte das Schiff nie in einem Ritt absolvieren. Durch die Tide musste mindestens einmal auf dem Fluss geankert werde. Nachts kamen dann die Flusspiraten und haben alles geklaut, was nicht irgendwo versteckt war. Die Feuerlöschschläuche waren unter Druck, die Deckscrew ging Wache, alle Windenhäuser verschlossen und die Messingpeilverschlüsse entfernt. Plötzlich hörte man Klack, Klack, Klack, und die Enterhaken flogen. Der Bootsmann sah Hände, die über die Reling greifen, und schlug mit einem Kantholz zu. Ein Schrei, und der Kollege flog ins Wasser. In der Zwischenzeit war das Deck voller Inder.

Auf dem Weg zu den Docks sind wir auch an Haldia Port vorbei. Ich erinnere mich gut, im Mai 1984 lag dort ein sowjetischer Bulkcarrier, welcher Kali löschte. 6 Monate später, beim nächsten Anlauf Calcuttas, lag dieses Schiff immer noch an der Pier. Die Inder haben mit bergmännischen Mitteln den fest gewordenen Kali aus dem Schiffsbauch geschlagen.

Um in die Docks zu kommen, musste man in Calcutta durch eine Schleuse. Die "Suhl" passte von der Schiffsbreite gerade noch so durch. Maschine durfte nicht benutzt werden. Normalerweise würden wir uns mit unseren Winden auf der Back selber reinziehen. Die Poller dort waren aber so marode, dass dieser Plan nicht funktionierte. Stattdessen standen auf beiden Seiten der Schleuse Menschenmassen. Diese griffen die Festmacherleinen und zogen uns mit menschlicher Kraft in die Schleuse. Ich habe so etwas nie wieder gesehen.

An der Pier lagen wir meistens zwei Wochen. Dort stand ein alter MAN-Kran. Dieser hob nicht mehr und bewegte sich auch nicht. Das Schiff musste ständig geshiftet werden, um an alle Luken zu kommen.

Im Winter wurde es für indische Verhältnisse verdammt kalt. Eines Nachts hatten wir Feueralarm in der Maschine. Ich bin runter getobt und in der Tat, es roch verbrannt. Ich konnte aber keine Brandquelle ausmachen. Ich bin dann raus an Deck, und dann war mir klar, woher der Brandgeruch kam. Die ganze Stadt war unter einer riesigen Qualmwolke, verursacht durch getrocknete Kuhfladen, die als Brennmaterial verwendet wurden.

Es ging dann regelmäßig weiter über Madras, Colombo, Cochin, Mangalore, Bombay und Karachi zurück nach Westeuropa.

In Colombo wurden regelmäßig Ausfahrten ins Bergland nach Kandy angeboten, von der die Besatzung reichlich Gebrauch machte. Die Fahrt durch tropische Landschaften war für uns alle exotisch. In Kandy wurde dann der berühmte Zahntempel besichtigt, das größte Heiligtum der Buddhisten.

In Cochin wurden wir zweimal vom Reedereivertreter zum Essen ins Malabar-Hotel eingeladen. Mein Gott waren die Saucen scharf.

In Mangalore wurden meistens Granitblöcke geladen, die dann im damals noch existierenden Überseehafen in Bremen gelöscht wurden. Das Hafenbecken von damals ist mittlerweile zugeschüttet worden.

In Bombay lagen wir tidefrei in den Alexandradocks, manchmal wochenlang.

In den Wintermonaten konnte man in der Indienfahrt den Fahrplan halbwegs einhalten. Das änderte sich in der Monsunzeit dramatisch. Diese beginnt jedes Jahr am 1. Juni. Es gibt dann jeden Tag unwetterartige Regenfälle. Ich erinnere mich gut, so gegen 14 Uhr wurde es am Horizont schwarz. Dann wurden hektisch alle Luken zugefahren. Die kostbaren Gewürze durften nicht nass werden. Es schüttete dann ca. eine Stunde vom Himmel. Danach riss die Wolkendecke auf, und das Wasser fing sofort an zu verdunsten. Man konnte die Uhr nach den Regenfällen stellen. Ich habe mich immer wie in einer Waschküche gefühlt. Das Atmen fiel schwer. Ich habe nie verstanden, wie Menschen ohne Aircon hier leben können.
Der Monsun entsteht, wenn die Sonne am nördlichsten über der Nordhalbkugel steht und das Hochland von Tibet aufheizt. Die warme Luft steigt nach oben, und die kühlere Luft aus dem Süden strömt normalerweise nach. Durch die Rotation der Erde wird die Strömung durch die Corioliskraft aber abgelenkt von Südwest auf Nordost. Im Frühjahr hat sich das Wasser über dem Indischen Ozean stark erhitzt. Die Luft ist voller Feuchtigkeit, die sich dann über dem indischen Subkontinent abregnet. Ein jahrhundertealtes Wetterphänomen.


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Bei der Hamburg-Süd hatte ich dann auch noch mal drei Einsätze in der Indienfahrt. 2012 schickte die Reederei drei Rio-Schiffe in die Indienfahrt. Es war die Blütezeit der Piratenangriffe. Der Fall "Hansa Stavanger" lag gerade einmal drei Jahre zurück. Am 4. April 2009 wurde das Schiff von somalischen Piraten gekapert. Die gesamte Besatzung war vier Monate in der Hand der Piraten, auch deswegen, weil die Reederei Leonard & Blumenberg ständig um das Lösegeld mit den Piraten gefeilscht hatte. Peinlich, dass ausgerechnet der Miteigentümer der Reederei Frank Leonard damals Chef des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) war.

Fast alle Kapitäne und Chiefs hatten sich geweigert, dort zu fahren. Ich habe mich freiwillig gemeldet, was nur müdes Lächeln meiner Kollegen erzeugte. Ich wollte mal sehen, wie Indien 30 Jahre nach meinen ersten Erfahrungen mit dem Subkontinent aussieht.

Die Schiffe wurden für die Fahrt durch das Krisengebiet vorbereitet. Die Außenschotten wurden mit Doppel-T-Trägern verrammelt. Im Bb-Passageway wurde eine Zitadelle eingerichtet, ausgerüstet mit Notproviant für 32 Stunden, batteriebetriebenem Sat-Telefon, Notbeleuchtung und Trockenklos. Das Problem war nur die Temperatur. Bei mehr als 45 grd kann kein Mensch lange überleben.

Letzter Hafen vor dem Kanal war Cagliari/Sardinien. Dort wurde das Schiff ladungsmäßig fit gemacht für den Suezkanal. Für die Kanalgebühren ist wichtig, dass die Containerlagen an Deck so gering wie möglich sind. Auf Containerschiffen werden von den Focal points gerne Türme gebaut.

Im Suezkanal kamen dann quasi mit dem Verlassen der Lotsen in Suez die Sicherheitsleute mit ihrer ganzen Ausrüstung an Bord. Anfangs war eine britische Firma verpflichtet worden. Nach der ersten Reise kamen dann 4 Deutsche von der Münchner Result Gruppe. Die Waffen wurden im F-Deck in einem leeren Store deponiert, verschlossen und versiegelt.

Erster Hafen war das verhasste Jeddah in Saudi Arabien. Kein Landgang und Hitze ohne Ende.

Danach wurde das Schiff in Stacheldraht eingepackt, Feuerlöschschläuche fest an der Reeling montiert und Dummies gebaut. 2012 mit der "Rio Bravo" sind wir dann auch Ausgangs Bab el Mandeb angegriffen worden. Die Jungs hatten der Crew vorher Ihr Konzept erklärt. Es muss unbedingt verhindert  werden, dass die Skaffs sich näher als 300m dem Schiff nähern können, weil die Piraten russische Panzerfäuste (RPG 9) in Ihrem Besitz hatten. Als sich uns eines der Speedboote näherte, schossen die Sicherheitsleute auf den Bug des Fahrzeugs. Diese Ballerei ist wohl bemerkt worden. Das Boot drehte um, und von da an sind Hamburg-Süd-Schiffe nie mehr behelligt worden. Die Sicherheitsleute sind die ganze Rundreise von Suez bis Suez an Bord geblieben. Ein Einsatz kostete der Reederei 100.000 Euro.
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Fotos: Harald Mertin, Rövershagen
Angelaufen wurden nach Jeddah, Jebel Ali, Karachi, Nava Sheva und Mundra. Indiens Häfen haben ein gewaltiges Tiefgangsproblem. Die Container ganz Indiens werden in zwei Häfen gefeedert. Größter Containerumschlagplatz Indiens ist Nava Sheva in der Mumbay Bay. Bei Hochwasser max. 12 m Tiefgang. Die Zeiten der Alexandradocks in Bombay, wie ich diese noch kenne, sind vorbei. Es gab 2015 nur einen Tiefwasserhafen in Indien, und das ist Mundra im Golf von Kutch. Mundra ist der größte Kohleimporthafen Asiens mit 16 m Tiefgang. Als ich 2014 mit der „Rio de la Plata“ dort war, brannte die ganze gelagerte Kohle im Hafen durch Selbstentzündung. Man hatte versucht zu löschen, aber aufgegeben. Nun sollten die Monsunregenfälle helfen. Das ganze Schiff war schwarz von dem Kohlenruß. Die Deckswachen sahen aus wie Bergleute nach der Schicht. Die Hamburg Süd hatte zwar protestiert, aber das schien dort niemanden zu interessieren.


Indien ist nach wie vor ein bescheidenes Land. Dreckig, staubig und die Infrastruktur am Boden. Gleichgültige Menschen überall. Regelmäßig gibt es stundenlange Black-outs. Dann kann bei DP World und APM Terminals auch nicht mehr gearbeitet werden.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Indien als Tigerstaat China mal ablösen könnte.

Niedergeschrieben von Harald Mertin nach Erinnerungen, erzählt seinem Enkel Ben

Herzlichen Dank an Harald für seine Schilderung der Indienfahrt!

Fotos: oben angegeben


"Indien Fahrt": Seeleute Rostock e.V., Juli 2024

   

Musik: 2002, space night - Roadcrossing In Delhi (KARUNESH - Punjab)
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  08.07.2024  
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