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www.seeleute-rostock.de/content/sailorscab/reports/13-schiffstaufen/bericht13.htm |
| SlR.sb13 [15.F4] |
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Schiffstaufen
Zwischen Blutopfern und spirituellem Spucken
von Stephan Bohnsack, Rostock
Titelbild Prospekt "DDR SCHIFFBAU - Shipbuilding in the German
Democratic Republic", 1984 |
Hrsg. VEB Kombinat Schiffbau, Press Office, Rostock | Repro: Seeleute
Rostock e.V., 2015
Das Ritual der Schiffstaufen ist wahrscheinlich so
alt wie die Schifffahrt selbst. Keiner weiß genau, woher sie kommt,
aber rund um den Erdball wird die Taufe zelebriert. Unsere Vorfahren kämpften
gegen Sturm und hohe Wellen, aber mit relativ kleinen Nussschalen. Die
Schiffe wuchsen zwar mit den Anforderungen, trotzdem gehörte sehr viel
Mut dazu, das große Meer zu befahren. Es ist also kein Wunder, wenn
sich unsere Vorfahren Unterstützung von "Oben", also von den
Göttern, zu sichern versuchten. Erstaunlich, dass Themen wie
Schiffstaufen und Stapelläufe in der Literatur nur eine geringe Rolle
spielen und Fantastereien, wie im "Lexikon der Rituale", das
literarische Feld überlassen wird.
So sollen demnach die Wikinger ihren Gott Odin mit Menschenopfern
bestochen haben, die in der feierlichen Zeremonie zum Stapellauf einen
Teppich bilden mussten, über den man das Wikingerschiff seinem Element
entgegen rutschen ließ. Das Blut der zum Tode Gequetschten tränkte den
Bootsrumpf, was Odin und Co. milde stimmen und Unheil vom Schiff
abhalten sollte. Beim Taufakt mit blutigem Stapellauf wurde viel
getrunken und gefeiert, so die Autoren. Erst viel später entfiel der
blutige Teil des Zeremoniells, und das Schiff wurde mit rotem Wein
getauft. Kopfschmerzen über die ritualen Grausamkeiten hatten die
Wikinger damals garantiert nicht, aber die Glaubhaftigkeit dieser Thesen
kommt ins Schwanken, wenn wir bedenken, dass nach einigen dieser Stapelläufe
das Wikingervolk wohl schnell ausgelöscht wäre, wo sie doch jede Menge
Schiffe bauten und jede Hand für das Überleben gebraucht wurde. Auch
gefangene Feinde mussten geschont werden, denn sie waren für die
Wikinger eine wertvolle Handelsware.
Heute beschränkt man sich, zumindest bei uns, auf eine Flasche
Champagner, die, wenn sie am Rumpf zerschellt, genauso wirken soll, wie
ein Blutsopfer für die Götter. Wehe aber, die Flasche bleibt heil! Um
sicher zu gehen, werden Flaschen deshalb häufig manipuliert - indem man
ihren Hals vorher ansägt. Bei der Taufe des sowjetischen Atom-U-Bootes
K 19 weigerte sich die Flasche jedoch hartnäckig zu zerspringen, ganz
im Gegensatz zum Atomreaktor des Bootes, der auf einer Reise kaputtging
und das U-Boot am 4. Juli 1961 für immer und ewig zu Neptun in die
Tiefe sinken ließ. Die Taufe der AIDAbella am 23. April 2008 am Warnemünder
Passagierkai war, um peinliche Pannen zu vermeiden, sehr penibel
vorbereitet. Ein Gestell, auf deren Spitze die Flasche befestigt war,
schnellte auf Knopfdruck mit großem Schwung gegen die Bordwand. Von
vornherein vermied man dadurch, dem Aberglauben Nahrung zu verschaffen,
der bei Passagierschiffen zu ruinösen Gewinneinbußen führen kann.
Gott sei Dank unterscheiden sich die Bräuche. Die Schotten sollen
angeblich mit Whisky taufen, und Inder schmeißen eine Kokosnuss gegen
die Bordwand. Flaschenhälse bekommen einen Ehrenplatz auf
"ihrem" Schiff, aber was machen die Inder mit den
Kokosnussschalen? Auch der norwegische Forscher und Abenteurer Thor
Heyerdal taufte sein berühmtes Floß "Kon-Tiki" mit
Kokosmilch. In Afrika soll das Taufzeremoniell so unkompliziert sein wie
seine Menschen, - eine Taufpatin spuckt fünfmal Palmwein gegen das
Schiff. Das behaupten jedenfalls die Autoren Wieprecht/Skuppin im
"Lexikon der Rituale" - verwechseln dabei offensichtlich Boot
mit Schiff. Bei der geschilderten Taufvariante müsste der Pate mit dem
Mund sehr hautnah an den Schiffsrumpf. Was aber, wenn gerade im
spirituellen Spuckmoment ein Windstoß aufkommt, vielleicht noch von
entgegengesetzter Seite...? Araber bevorzugen Wasser aus der heiligen
Quelle bei Mekka. Als auf der Warnemünder Warnow-Werft ein für Libyen
gebautes Schiff getauft werden sollte, reiste extra ein Herr mit Wasser
aus der heiligen Quelle an, von Mekka an die Warnow. In China und Japan
soll bei der Taufe symbolisch eine "Nabelschnur" gekappt
werden, die das Schiff solange mit dem Land verbindet. Anderswo soll
sogar schon mit Orangensaft getauft worden sein.
Schiffstaufen werden weltweit zelebriert, denn die Feierlichkeit hat
ihre Wurzeln in Resten heidnischen Aberglaubens der Menschen.
Christentum und Islam gab es noch nicht, Götterglaube aber schon. Unfälle,
Untergänge oder auch nur Missgeschicke, z. B. direkt bei oder nach der
Taufzeremonie, bestärken den tiefen Aberglauben in manchen Regionen
unserer Erde zusätzlich. Aber weshalb gerade auch bekennende Atheisten
unsere DSR-Schiffe tauften, wo doch von ihnen jeder wusste, dass von
Oben, oder besser noch, von "ganz Oben", nichts zu erwarten
war, oder waren sie sich vielleicht doch nicht so ganz sicher? Dreimal
kam es jedenfalls auf der erfolgsverwöhnten Warnow-Werft in Warnemünde
unmittelbar nach einer Schiffstaufe zu Stapellaufhavarien.
Der spektakulärste Fall passierte, wie der einstige
Werftensprecher Dietrich Strobel (s. Sachbuch Vom Kutter zum
Containerschiff) in einem Bericht hinterließ, am 3. September 1975
nach einer Taufe durch die Ehefrau des 1. Sekretärs der
SED-Bezirksleitung, Eleonore Timm, die ihre Taufflasche am Bug
zerschellen ließ, den Taufnamen des Schiffes "KHUDOZHNIK
SARYAN" enthüllte, um dann das Kommando zu geben, "Stopper
los!" Der Schiffskörper setzte sich schwungvoll in Bewegung, wurde
plötzlich aber langsamer und blieb schließlich zum Entsetzen der
Anwesenden nach nur 10 Metern auf der Helling hängen. Der Aberglaube
fordert, "schwangere Frauen, Frauen in grünem Kleid und
Rothaarige sollten nicht taufen. An Freitagen ist die Taufe riskant, an
Sonntagen eher günstig." Ob davon etwas zutraf, wissen wir
nicht. [Bericht
unten]
Darüber hinaus "sollen auch Männer von Schiffstaufen fern
gehalten werden". Bisher durften deshalb nur einige mächtige
Herren ein Schiff taufen, oft gab es dabei auch noch Probleme. Der
englische Prinz Albert verfehlte z. B. am 19. Juli 1843 mit der
Champagnerflasche peinlicherweise den Bug der "Great
Eastern" (18.915
BRT), deren Größe das zehnfache zeitgenössischer Schiffe erreichte.
"Das Schiff hatte deshalb auch kein Glück", vermuteten
die Abergläubischen. Viele Passagiere brachten deshalb nicht den Mut
auf, mit dem Riesenschiff zu reisen, oder gar kostbare Güter durch es
befördern zu lassen. Der ausgezeichnete, erfahrene Kapitän Harrison
ertrank obendrein noch in Southampton, stärkte durch seinen nassen Tod
im Hafen den weit verbreiteten Aberglauben. Die "Great
Eastern" wurde für ihre Reederei schnell zum finanziellen Desaster
und schließlich weiterverkauft. 1886 musterte man das Schiff nach
weiteren Pannen endgültig aus.
Die ganze Welt "wusste" es, die "Titanic"
ist unsinkbar, denn sie war nach den allerneuesten
wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnissen des Schiffbaus
ihrer Zeit konstruiert. Deshalb entschloss sich die Reederei "White
Star", ganz auf ein Taufritual für die "Titanic" zu
verzichten. Das zu dieser Zeit modernste Schiff der Welt sollte nicht
mit einem Ritual in See stechen, das für die Eigner Ausdruck
verstaubten und blinden Aberglaubens war. Die Jungfernfahrt war noch
nicht beendet, als das "unsinkbare" Schiff mit der Baunummer
401 sank - ungetauft!
Bestandteil jeder Schiffstaufe ist natürlich eine festliche
Ansprache, die je nach Zeit und Bestimmung des Schiffes mit solchen
Standardformulierungen enden: "Ich taufe dich auf den Namen …"
oder "Ich wünsche der Besatzung allzeit gute Fahrt und dir
immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel" oder "Ich grüße
dich mit dreimaligem Hipp-Hipp-Hurra!"
Die Schiffstaufe zählt inzwischen zur festen Tradition jeder
Indienststellung eines neuen Schiffes, bei uns "Aufgeklärten"
jedoch ohne verstaubte, spirituelle Formeln, denn durch Bildung und
Wissen sind wir nicht mehr auf die Hilfe von "ganz Oben"
angewiesen, wir feiern und wünschen dem Neuling einfach Glück auf
seinen Wegen. Eines bleibt aber sicher, auch Seefahrergenerationen der nächsten
Jahrhunderte werden nicht auf traditionelle Taufriten verzichten, denn
Rituale, bei denen Feiern und ein guter Tropfen eine Rolle spielen,
haben eben sehr gute Chancen auf ein langes Leben, zählen sie doch
weltweit zum immateriellen maritimen Erbe einer 5000-jährigen
Seefahrtsgeschichte.
Quellen: "Lexikon der Rituale"
Wieprecht/Skuppin | Augenzeugenbericht Strobel |
Spektakuläre Stapellaufhavarie auf der
Warnow Werft
Schiffsrettung durch ingenieurtechnische Lösungen
von Stephan Bohnsack, Rostock
"Stopper
los" - so lautet das Kommando nach jeder Schiffstaufe. Auch bei der
Taufe der KHUDOZHNIK SARYAN (erstes Schiff der MERCUR-Serie) am
03.09.1975 bei strahlendem Sonnenschein war es so. Ansprache,
Champagnerflasche am Bug zerschellen lassen, dem Schiff alles Gute wünschen
und ab ging's, auf der für den Stapellauf besonders sorgfältig
gefetteten Helling, auf Schlitten in Richtung Warnow. Der mächtige
Schiffskörper setzte sich mit seinen 5.800 Tonnen Ablaufgewicht in
Bewegung. Aber schon nach ca. 10 Metern Schlittenfahrt verlangsamte sich
die Chose und blieb dann wirklich und wahrhaftig hängen!
Stapellaufhavarie nennt man so einen Vorfall. Für Schiffbau-Kombinats-
und Warnow-Werft-Leitung war es vor den Auftraggebern unangenehm und fürchterlich
peinlich, denn gerade dieser Schiffstyp sollte Auftakt zum Bau einer
Zehnerserie der ersten Generation von Containerschiffen sein, die das
Produktionsprofil der Warnow-Werft für die nächsten Jahre bestimmen würden.
Die Warnemünder Werft wollte mit diesem Schiff den Übergang zum
Containerschiffbau vollziehen.
Staatssicherheit reagierte auf Havarie mit Misstrauen...
Es war die dritte Stapellaufhavarie in der Geschichte der Warnow-Werft,
die jetzt zu hektischen Fragen führte. War die Havarie Sabotage? Hatte
jemand einen Fremdkörper untergelegt? Der anwesende, damals noch neue
Chef der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatsicherheit, Oberst
Rudi Mittag, reagierte erst einmal staatstypisch mit Misstrauen und
sofortiger Nachrichtensperre, Fotografen wurden gezwungen, ihre Filme
aus den Apparaten zu nehmen und abzuliefern, und auch die
DEFA-Dokufilmer durften ihre Werftreportage nicht veröffentlichen. Die
Presse erhielt einen "Maulkorberlass", - nur der
"Buschfunk" ließ sich nicht durch die Stasi beherrschen und
funktionierte reibungslos.
Die Ingenieure der Warnow-Werft sahen den Vorfall nüchterner und
vermuteten ein technisches Problem. Sie suchten sofort fieberhaft mit
Messtechnik und Rechenschiebern nach Antworten. War die Flächenpressung
zu groß, die Ablaufbahn zu schmal, der Schlitten nicht richtig
ausgerichtet oder vielleicht falsch dimensioniert? Hatten die
Temperaturen das Stapellauffett dünnflüssig gemacht, lag der schwere
Schiffskörper zu lange auf dem Schlitten und hatte das Fett
weggepresst? Sofort wurden auch internationale Stapellaufhavarien
recherchiert und ausgewertet. Dabei wurde klar, wie empfindlich Schiffskörper
auf kleinste Neigungsveränderungen der Ablaufbahn reagieren. Jetzt zog
man endlich auch Spezialisten, Ingenieure vom Industriebau Rostock, zu
den Untersuchungen hinzu.
Wie der einstige Werftensprecher Dietrich Strobel in seinem späteren
Bericht hinterließ, vermuteten die Ingenieure, "dass es an
der Vorhelling zu Senkungserscheinungen infolge Langzeiteinwirkungen
gekommen war, die die Bahnneigung vermindert und damit auch die Ablaufkräfte
so verringert haben, dass sie nicht mehr in der Lage waren, die
Reibungskräfte zu überwinden." Die Erkenntnis aus der
Suchbewegung: Ein Schlitten hatte sich infolge extremer
Reibungstemperaturen auf der Ablaufbahn regelrecht festgebrannt.
Während einerseits nach weiteren Details der Havarieursache gesucht
wurde, stand anderseits natürlich weiterhin die Aufgabe, das Schiff
endlich ins Wasser zu bekommen. Einen Schiffskörper dieser Größe heil
ins Wasser zu bekommen, das war nicht einfach. Den Schiffskörper an der
Problemstelle auseinanderschweißen wäre möglich, diese Variante kam
aber zu keiner Zeit in Betracht. So zog die halbe DDR-Schlepperflotte
von der Wasserseite, während landseitig mit Pressen, die von der
Reichsbahn ausgeliehen waren, versucht wurde, das Schiff ins Wasser zu
drücken. Zusätzlich waren zwei 1.000-Tonnen-Flaschenzüge der Bagger-,
Bugsier- und Bergungsreederei eingesetzt. Das 169,60 Meter lange Schiff
sollte Schub für Schub ins Wasser gedrückt werden. Der Optimismus der
Ingenieure verflog aber schnell, als nach einigen Tagen alle Versuche
wirkungslos blieben.
Bergungspanzer,
die in Kombination mit den Pressen das Schiff bewegen sollten,
erschienen in dieser Lage als letzter Ausweg. Woher aber Panzer nehmen?
Entsprechende Hilfeersuchen an das Wehrkreiskommando Rostock, an den
Stab der Volksarmee in Strausberg und an das Zentralkomitee der SED in
Berlin blieben ergebnislos. Man stieß auf Bürokratismus und auf die
bei Verleihung von Panzern entstehende Verantwortung, die keiner übernehmen
wollte.
Sowjetarmee half unbürokratisch - ohne wenn und aber
Eine diesbezügliche Anfrage an den sowjetischen Generalkonsul in
Rostock brachte innerhalb einer halben Stunde die positive Zusage! Die
580 PS starken Bergungspanzer, nach Erinnerung von Dietrich Strobel
waren es legendäre Panzer des Typs T-55, wurden mit Tiefladern aus der
Garnison Wismar geholt und trafen noch am gleichen Tag auf der
Warnow-Werft ein. Ihre Zugkraft von ca. 30 Tonnen, gekoppelt und verstärkt
durch Taljen, schaffte es jedoch auch nicht. Seile brachen und es gab
sogar einen Schwerverletzten.
Die neue Strategie der Ingenieure:
Das Schiff seitlich kanten und soweit anliften, dass der havarierte
Stapellaufschlitten Stück für Stück gelöst und ausgewechselt werden
konnte. Dazu waren Hubpressen erforderlich, die mit Hilfe des Ministers
für Schwermaschinen- und Anlagenbau, Gerhard Zimmermann, in Großbritannien
als Blitzimport gekauft wurden und mit, von der Werft selbst gefertigten
Kugelkalotten, zum Einsatz kamen. Jetzt gab es nur noch ein letztes
Problem: Das Heck musste angehoben werden, um die Reste des alten
Schlittens gegen den neuen tauschen zu können. Drei
Glattdeckschubprahme, wie sie die Pioniere der Volksarmee besaßen,
wurden ausgeliehen, dann u-förmig unter dem Heck verzurrt und geflutet.
Aufgeschweißte Stützen hoben das Heck beim Lenzen der Prahme dann
soweit an, daß die Reste des Schlittens entfernt und ersetzt werden
konnten. Die Kombination vieler ingenieurtechnischer Lösungen,
geistiger und körperlicher Leistungen der Beschäftigten mehrerer
kooperierender Unternehmen brachte den Havaristen am 29. September, mit
26 Tagen Verzögerung, völlig unversehrt zu Wasser. Am 16. Dezember
1975 konnte die KHUDOZHNIK SARYAN als erstes Vollcontainerschiff an die
Auftraggeber übergeben werden.
Quelle: Augenzeugenbericht Dietrich Strobel |
Fotos: Archiv/Sammlung Strobel
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Zum Schiffstyp siehe bei uns unter "Weitere
Schiffe" Typ
MERCUR. |
"Schiffstaufen": Seeleute
Rostock e.V., April 2015
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03.02.2021 |
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