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www.seeleute-rostock.de/content/sailorscab/stories/16/affengeschichten.htm |
| SlR.sc16 [14.F4] |
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Stephan Bohnsack, Rostock
Affengeschichten
Gekürzt erschienen unter "Jeder Seeman hat
mal einen Affen" in "Bordgeschichten XI",
DSR-Seeleute e.V., Freiberg, 2013, www.seeleute.de .
Ein Affe mustert an
Affen sind eigentlich keine außergewöhnlichen Tiere, obwohl sich
das Leben außergewöhnlich verändert, wenn man für ein Affenbaby plötzlich
zu Mutter und Vater gleichzeitig wird. Diese Erfahrung machte ich in
den 60er Jahren während einer Reise mit der "Edgar André" (vgl. Typ-X),
quer durch Asien. Neben großen Häfen wie Singapur, Hongkong, Osaka,
oder Shanghai ankerten wir auch einmal auf dem Fluss des damals kleinen
malaysischen Urwaldhafens Port Swettenham, um hier Ladung zu nehmen.
Landgang war für uns hier zu festen Zeiten, aber nur mit der
Hafenbarkasse, möglich. Wer von der Besatzung dienstfrei, Zeit und
Lust hatte, nutzte diese Möglichkeit, um sich mal an Land die Beine zu
vertreten oder sich im Seemannsclub vom Schiffsbetrieb zu erholen.
Die Barkasse setzte uns also im Zentrum des Ortes ab, das nach
meiner Erinnerung aus einer Anlegestelle, wenigen Obstständen und
einem Andenkenstand bestand. Natürlich landeten die Landgänger aller
Nationen genauso wie wir zunächst vor den Auslagen gerade dieses
Standes, denn die bestanden überwiegend aus den begehrten, mit
malaysischen Motiven bedruckten Stoffen, Heiligen aus Keramik,
Holzschnitz- und Bambusarbeiten. Preisgünstige Souvenirs waren von
Schiffsleuten der ganzen Welt ja immer gefragt. Fast alles des in
Handarbeit verarbeiteten Holz- und Bambusmaterials kam aus dem
einheimischen Wald. Ein großer bunter Papagei war der Blickfang, der
wie ein Heiligenschein auf der Bambusstange über den Auslagen hockte.
Auch er kam aus dem heimischen Wald und lockte durch seine imposante
Erscheinung neugierige und potentielle Käufer gleichermaßen. Einfach
nur so vorbeigehen ging hier nicht. Der Papagei sah jeden und half ihm
sofort mit lautem Gekreische auf den richtigen Weg, nämlich in den
Andenkenladen seines Herrn, Chefs und Besitzers. "Den
Papagei kaufen wir und nehmen ihn mit", so meine
Reaktion... Allerdings vervielfachte sich der Preis für den bunten
Vogel bis zum Abend, und wir ließen deshalb von dem Vorhaben ab.
Clever von seinem Chef, der ihn nach meiner jetzigen Meinung
offensichtlich überhaupt nicht verkaufen wollte.
In 10 Minuten auf dem Weg nach Europa
Zwischen unzähligen Holztieren und Heiligenfiguren spielte ein
kleines Affenbaby, das wir jetzt zufällig entdeckten. Das Affenbaby
ahnte nicht, dass es sich keine zehn Minuten später in meinem Hemd
steckend auf dem Weg nach Europa befand. Ich zahlte für den Affen,
alle anderen für Bananen, denn Affen leben ja von Bananen, so glaubten
wir bis dahin übereinstimmend. Aus dem geplanten Papageienkauf wurde also ein
richtiger Affenkauf.
Auf der Barkasse ließ sich das neue, haarige Besatzungsmitglied
allerdings nicht lange vor den anderen verstecken. Ich erwartete vom
"Alten" ein Donnerwetter, denn kürzlich erließ die Reederei
ein Verbot für das Mitführen von Tieren auf Schiffen. "Ich
habe offiziell kein Tier gesehen…", sagte er schmunzelnd,
das Äffchen dabei sogar streichelnd. Wahrscheinlich war "schlechtes
Sehen" der Grund für seine folgenden, fast allabendlichen
Besuche des Affenbabys.
Das Leben der ganzen Besatzung schien immer mehr vom Affen bestimmt,
denn wenn er abends wach und aktiv wurde, dann in der Regel in
Anwesenheit etlicher Leute. Wurde auf dem Schiff jemand gesucht, dann
suchte man zuerst in der "Affenkammer".
Unser Affenbaby entpuppte sich als Nachttier - wir waren wohl jetzt so
etwas wie seine Herde. Es lief mit uns aber genau umgekehrt, der Affe
war zwar neu auf unserem Schiff, aber trotzdem waren wir es, die um
sein Vertrauen kämpfen mussten, uns als Spielkamerad zu beweisen
hatten. Recken, Strecken, Pinkeln, Fressen, anschließend Spielen - war
sein tägliches Abendritual. Nach dem Aufstehen: Springen und Spielen,
immer bis in den frühen Morgen. Dann verschwand der "nächtliche Geist" nach
seinem "Morgenritual"
- Fressen, Pinkeln, Trinken - wieder in seine "Höhle" -
meine Reisetasche.
Alles sollte markiert sein
Allerdings gelang es uns nicht, ihm das Markieren seines Revieres
abzugewöhnen. Zum Revier zählte alles, was sich in unserer Kammer
befand oder herumlag. Das waren einige schon markierte Klamotten,
Tischdecke, Handtücher, sogar die Kunststofftapete an der Wand. Wenn
mein Zimmerkollege seine neue Zigarettenschachtel vergaß wegzulegen,
dann schmeckten sie am nächsten Tag eben ein wenig anders. Mir war es
egal, ich bin Nichtraucher. Alle neuen und für den Affen erreichbaren
Gegenstände bekamen umgehend seine Duftmarke - da war der Affe sehr
gewissenhaft. Eine Stulle sollte man deshalb beispielsweise in unserer
Kammer nicht aus der Hand legen. Ganz zerstreute Kameraden taten es ein
paar Mal wohl auch aus Vergesslichkeit, natürlich mit dem Ergebnis,
dass es dann anschließend ein wenig anders schmeckte. Aber nicht jeder
stellte immer gleich eine Aromaveränderung fest und später - da war
sowieso alles zu spät.
Der Affe bewohnte die obere Koje, die von meinem Kollegen nicht
genutzt wurde, da der auf der Backskiste schlief. Zwischen unseren Seesäcken
lag meine Reisetasche. Hierher konnte er sich zurückziehen, aber
trotzdem alles beobachten, was im Raum vorging. |
Ausflug an Deck
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Der "Alte" hätte das wissen müssen
Singapur war unser nächster Hafen. Ein Minister wollte hier
ausgerechnet auf unserem Schiff einen Empfang geben. Alle Offiziere
bekamen dafür extra schneeweiße Uniformen, die asiatische Schneider
innerhalb von zwei Tagen anfertigten. Der entbehrliche Teil der
Besatzung wurde ab Mittag von der Arbeit freigestellt. Der
"Alte" drehte wie immer, so auch kurz vor dem Ministerempfang,
seine abendliche Runde über das Schiff, natürlich nicht ohne Besuch
beim "Schiffsaffen". Den allerdings interessierte der
Ministerbesuch weniger, dafür aber vielmehr die neue, noch unmarkierte
Uniform, die der Kapitän heute trug. Der Kleine setzte sich wie sonst
auch auf seine Schulter, schnupperte - alle hätten es eigentlich wissen
müssen -, und dann passierte es auch in Sekundenschnelle. Ein
goldgelber Urinstrahl perlte von oben über die Schulter den rechten Ärmel
hinab, schrecklicherweise so, dass dabei auch noch das Vorderteil der
Jacke besprenkelt wurde. Die anwesende Chefstewardess wurde blass, aber
Schreien half jetzt gar nichts. Sie hatte die Aufgabe, alles
blitzschnell möglichst spurlos zu reinigen. Mich betraf das Problem zum
Glück nicht, denn meine Klamotten trugen ja bereits die Duftmarke des
Mitbewohners. Die Düfte waren nicht einmal beim Waschen vollständig zu
entfernen.
Neue Futterquelle für den haarigen Kollegen
Bald merkten wir, dass dem Äffchen allmählich Zähne wuchsen, wir
seine Nahrung verändern müssten. Aber wie? Eines Tages kam der Koch zu
Besuch und hatte "wie zufällig" ein rohes Ei dabei, sogar
schon mit angetickter Schale. Der Affe stürzte sich auf das Mitbringsel
und lutschte es zum größten Teil gleich noch auf der Stelle aus. Ein
anderes Mal brachte er rohe Leber mit, und wir erlebten, wie das Tier
diese genauso hektisch verschlang. Von jetzt an war der Chefkoch auch
Leibfuttermeister des Affen - dem gefiel es.
Dem Abenteuer Einbürgerung in die DDR entgegen
Einige Stürme kreuzten unseren Weg nach Europa, aber das Äffchen
hatte auch bei Schaukelei keine Probleme. Es fühlte sich wahrscheinlich
instinktiv wie im Wipfel einer Palme im Wind, denn als Baby hatte er ja
wohl nie die Chance, je auf einer Palme zu hocken. Allmählich näherten
sich die Hafenstädte Antwerpen und Hamburg. Wenn in Antwerpen ein
Schiff aus exotischen Gefilden kommend anlegte, waren sie sofort wie
Fliegen da, die Tierhändler, um mitgeführte Exoten aufzukaufen und
weiter zu vermarkten. Für die betroffenen Tiere oft ein schlechtes
Geschäft, denn häufig wurde über das Geld ganz vergessen, dass auch
Tiere lebende Kreaturen sind. Ich gebe zu, im Zusammenhang mit unserem
Affen auch erst an ein solches Geschäft gedacht zu haben. Als es jedoch
zum Geschäft kommen konnte, verwarf ich es aus moralischen Gründen und
verzichtete auf mögliches Geld, obwohl ich es gut gebraucht hätte.
Aber ohne dieses Geld lebe ich auch noch und als Sorgeberechtigter
verkaufe ich meinen Schützling nicht und überhaupt, wenn das an Bord
herausgekommen wäre… Wir reisten also gemeinsam weiter, durch den
Nord-Ostsee-Kanal in Richtung Rostock, und bereiteten uns auf das
riskante Abenteuer der Einbürgerung des Affen vor, oder wie es amtlich
von DDR-Behörden bezeichnet wurde: Einschmuggeln eines verbotenen
Exoten in das Staatsgebiet der DDR. |
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In die neue Heimat unseres Äffchens
Unser Affe reist illegal in die DDR ein
Nach vielen Monaten Schiffsreise und der erfolgreich überstandenen
Versuchung, den Schiffsaffen der "Edgar André" in Antwerpen
an einen Tierhändler zu verkaufen, kamen wir endlich in Sichtweite
Warnemündes und vor die Hafeneinfahrt von Rostock. "Kein
freier Liegeplatz, auf Reede ausweichen und Ankern!" - so
lautete der Befehl von Land. Für uns eine letzte Möglichkeit, ein
perfektes Versteck für den Affen zu finden. Druckerzeugnisse aus dem
kapitalistischen Ausland, aber auch exotische Tiere - wie eben unser
Affe - waren illegal und durften nicht eingeführt werden. Der pennte
ahnungslos in meiner Reisetasche in der oberen Koje unserer Kammer. Plötzlich
kam der Befehl zum Anker hieven und Einlaufen. Unser Schiff ging im
Rostocker Überseehafen neben einem anderen Schiff der Deutschen
Seerederei an der Querpier längsseits, um an ihm im Päckchen
festzumachen.
Zöllner, so viele wie Heuschrecken
Oh Schreck, eine Zoll-Gang wartete schon und enterte auf unser Schiff
über. Ich hatte durch die plötzliche Hektik vergessen, mich um den
Affen zu kümmern. "Was ich selber denk und tue, dass traue
ich auch anderen zu", so sahen wir die Arbeit der Zöllner.
Jedenfalls Taschenlampen, Werkzeugtaschen und Spiegel führten sie
reichlich mit sich. An den Verschalungen in den Gängen, am Inventar
einiger Kammern und im Maschinenraum tobten sie sich sechs Stunden lang
aus - natürlich ohne etwas zu finden. Sie suchten nach Schrauben, von
denen die Farbe abgeplatzt war, was eigentlich nur dann passierte, wenn
vorher dran geschraubt war. Aber was war mit dem Affen?
Unsere "Affenkammer"
schien den Zöllnern nicht würdig genug für eine Tiefenkontrolle, wir
hatten noch nicht geschafft, sie aufzuräumen. Jedenfalls genügte einem
der Zöllner nur ein oberflächlicher Blick ins Innere, das reichte ihm.
Aber Gäste hatten wir ja keine erwartet. Endlich waren Zöllner und
Grenzbeamte wieder von Bord, und ich stellte beim Besuch des Affen mit
Schrecken fest, dass er samt Reisetasche verschwunden war.
Jetzt kam die große Überraschung: Einige Jungs begannen die Rückwand
der Backskiste in des E-Mix' Kammer zu dessen großen Verwunderung
abzuschrauben und entnahmen dem Hohlraum meine karierte Reisetasche mit
dem Affen, der jedoch glücklicherweise immer noch pennte.
Der temperamentvolle Thüringer wurde weiß, er hatte nach dieser
Reise wirklich nichts Verbotenes dabei, konnte dementsprechend während
der Kontrolle vor lauter Übermut eine große Klappe riskieren, was er
auch ausgiebig tat. Er führte in dem Trubel sogar laut das Wort - und
dann? Der geschmuggelte Affe ausgerechnet in seiner Kammer! Alles lachte
und freute sich, er selbst jedoch war stinkwütend. Wohl nicht ganz zu
Unrecht, denn was wäre, wenn der versteckte Affe von den DDR Behörden
gefunden worden wäre?
Er wurde aber glücklicherweise nicht gefunden, und schon ging es an
den zweiten Teil der heimlichen Einreise in die DDR - nämlich die
Passage des Hafentors, das immer mit vielen Zöllnern, Grenzern und
Hafenpolizisten besetzt war.
Ich war reisefertig. Der Affe war auch munter, hatte inzwischen
Wasser gelassen, wieder frisches getrunken und verlangte nach seinem
Abendessen. Gesättigt ließ er sich dann problemlos im Futter meines
Halbmantels verstauen, denn mit Gepäck wollte ich jetzt nicht durch das
Hafentor. Das Warten auf das gerufene Taxi nahm Zeit in Anspruch, und
der Affe wurde im Mantelfutter lebendig, vor allem neugierig. Plötzlich
bildete sich auf meiner Schulter ein Buckel, wanderte zur anderen Seite
und verschwand wieder nach unten. Das Spiel wiederholte sich ein paar
Mal. Ich kann mir denken, was der Wachmatrose des anderen Schiffes wohl
dachte, er fragte aber nichts. Das Taxi stand inzwischen an der Gangway,
und für ein Gespräch blieb jetzt auch keine Zeit mehr. Er wundert sich
vielleicht heute noch.
Das nächste illegale Abenteuer - die Passage des Hafentors
Es ging in ein neues Abenteuer - die Passage des Hafentors. Das
gerufene Taxi sollte über Gehlsdorf fahren, um Kameraden am in dieser
Zeit bei Seeleuten berühmten "Lindenhof" abzusetzen,
denn dort war Tanzabend. Für mich waren die lustigen Kameraden die
beste Tarnung, lustig und ohne Gepäck. Zum "Lindenhof" fuhren
meistens Seeleute, die einen vergnüglichen Abend suchten, mit hübschen
Tanzpartnerinnen, Wein und Bier. Von Schmuggelei waren diese Leute in
den Augen der Kontrollbeamten weit entfernt. Die Tarnung schien zu
klappen. Wir kamen an die Schranke, machten im Auto lustige Witze,
zeigten die Seefahrtsbücher, wurden einzeln durch den Uniformierten
gemustert und durften schließlich passieren. Unser Äffchen war jetzt
fast angekommen. Die Kumpels stiegen in Gehlsdorf aus, und weiter ging
es quer durch die Stadt zum Haus meiner Familie. Den Mantel hielt ich
auf dem Schoß, konnte bei einem Ampelstopp jedoch nicht verhindern,
dass der Taxifahrer einen fürchterlichen Schreck bekam, denn das Äffchen
hatte den Mantelausgang gefunden und steckte nun eine seiner Hände in
Richtung Fahrer. Endlich kamen wir an, der kleine Affe nun in seinem
neuen, aber auch letzten Revier.
Es gibt noch unzählige erzählenswerte Episoden aus dem
Zusammenleben von Affe und Mensch. Das Komplizierteste war jedoch die
Ernährungsumstellung auf Lebendfutter und des Affen alter Trieb, alles
Neue unbedingt zu markieren. Einmal erwischte er dabei sogar eine
frische Apfeltorte mit Zuckerguss, die für ein Kaffeekränzchen älterer
Damen hergestellt und zum Abkühlen auf dem Fensterbrett abgestellt war.
Das sind zwar keine Bordgeschichten mehr, aber lest trotzdem gerne
weiter …
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Die neue Heimat unseres Äffchens
Die Nacht der ersten Begegnung
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Das Begrüßungskomitee war zum Empfang des neuen Familienmitgliedes
versammelt. Vater, Mutter, Oma und Uroma... In der Wohnung angekommen
konnte ich die "Katze" - oder besser den Affen - endlich aus
dem Jackenfutter in seine neue Familie und das deutlich größere Revier
entlassen. Es war die Jahreszeit großer, bunter, langstängeliger
Blumen. Der Affe bemerkte den blumigen Duft sofort und hangelte als erst
einmal an einer für ihn gänzlich unbekannten Bauernrose hoch, die sich
mit anderen Blumen als Strauß in einer Vase befand. Sie gab jedoch plötzlich
nach und kippte samt Vase um. Zu dumm - die Vase stand auf dem
Fernseher, der zu dieser Zeit eingeschaltet war. Er zischte und dampfte
- Schreck für alle -, und ich schaltete geistesgegenwärtig den
Strom ab. Der Fernseher überlebte, aber der Affe wunderte sich wohl
noch lange. Es war seine erste
Vorstellung in der neuen Familie und auch ein kleiner
Vorgeschmack auf das, was die Familie ab jetzt beim Zusammenleben mit
dem "kleinen Jäger aus dem
Urwald" erwarten konnte. Insgesamt sieben Vasen blieben in
dieser ersten Nacht auf der Strecke. Sie lagen am nächsten Morgen
zerbrochen am Boden. Es war auch ein wenig meine Schuld, denn weder im
Urwald und schon gar nicht in unserer Kammer an Bord der "Edgar
André" hatte der Affe die Möglichkeit, den Umgang mit Vasen zu üben.
Viel Arbeit im Revier
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Der Affe stellte schon in der ersten Nacht fest, dass in seinem neuen
Revier noch viel Arbeit wäre, denn nichts trug bisher seine Marke. Wie
sollten die anderen Affen wissen, dass es sein Revier wäre? Er gab er
sich große Mühe das zu ändern. Jetzt begann ein Wettlauf von Markieren und Reinigen
zwischen Familie und neuem Bewohner. Ging der Affe morgens
schlafen, begann die Familie nach dem Aufstehen mit der Reinigung der
markierten Gegenstände. Wir wissen aus der Zeit des Zusammenlebens auf
dem Schiff, dass alle neuen Gegenstände sofort markiert werden. Zu
dieser Zeit heizten wir unser Haus noch mit Briketts, die wir in Eimern
neben dem Ofen in der Küche lagerten. Hier wurde die Wärme erzeugt und
in die Heizkörper des Hauses geleitet. Jeden Abend stellten wir neue
Kohlen neben den Ofen um morgens gleich heizen zu können. Der Affe
markierte des Nachts immer die oberen Briketts, die waren ja jeden Abend
erneuert, und untersuchte anschließend das Revier. Schwarze Abdrücke
seiner Hände an Tapete, Schränken und manchmal auch an Gardinen waren
oft das Ergebnis seiner nächtlichen Wanderungen.
Allmählich
gewöhnte sich Familie und Affe aneinander, und es setzte sogar ein gegenseitiger
Anpassungs- und Lernprozess ein. Hauptfrage für die Familie: Wie können
wir uns am besten vor den Gewohnheiten des neuen Mitbewohners schützen?
Und für den Affen: In welchem Schrank wäre das beste Lager? Bis er das
herausfand, flogen auch schon mal gebügelte und zusammengefaltete
Klamotten aus dem untersuchten Schrank. Die Konsequenz: Wir bauten ihm
eine Höhle, ein Holzhäuschen, von innen mit wärmendem Schafspelz
ausgeschlagen - er kam schließlich aus tropischen Gefilden. Das Ganze
sah wie ein Vogelhäuschen aus, denn es hatte im Eingang ein großes,
rundes Loch. Der Affe war happy. Jetzt hatte er, was er wollte, seine
eigene Höhle, konnte von oben alles und was ringsherum geschah
beobachten und war für neugierige Menschenkinder auf dem Dach des
Kleiderschrankes nicht so leicht erreichbar - mehr wollte er gar nicht.
Die Affenversorgung wird immer perfekter
Auch seine Ernährung konnten wir systematisch artgerechter
gestalten. Aus dem zoologischen Schulkabinett der Rostocker 1.
Erweiterten Oberschule erhielten wir Unterstützung in Form von eiweißreichen, appetitlichen Mehlwürmern,
kleinen Mäusen und sogar Hamstern, die mir allerdings leid
taten. Ein lebendes Tier wurde in eine Wanne gesetzt, aus der es nicht
weglaufen konnte, der Affe gesellte sich dazu und fing blitzschnell das
Tier, um dessen Kehle durchzubeißen und Blut und Hirn zu saugen. Den Körper
durften wir dann entsorgen. Mir war das zu blutig, und wir holten
deshalb aus der Brüterei in Rostock-Gehlsdorf für 10 Pfennig das Tier
- Eintagsküken. Einmal kaufte ich gleich 25 Küken, um Vorrat zu haben
und nicht wegen jeder Fütterung auf den Weg zu müssen. Den Karton
stellte ich an die warme Heizung in das Wohnzimmer, der Affe würde sich
bei Bedarf bedienen. Er tat es. Zwei Küken waren getötet, mit dem Rest
spielte er. Er hob sie hoch und ließ Küken für Küken aus dem Karton
fallen. 23 Küken rannten fast einen gesamten Tag im Wohnzimmer auf den
Teppichen rum. Es dauerte lange, bis endlich alle pfenniggroßen
Zeugnisse dieser Tat aus den Teppichen entfernt waren. Die Lehre aus
diesem Kauf auf Vorrat: Schon am nächsten Tag waren es keine Eintagsküken
mehr, und der Affe fasste auch keine
"alten" Küken mehr an, er war anscheinend ein Gourmet.
Affenausflug aufs Dach
Eines Tages kam ich erst in den späten Abendstunden nach Hause und
wunderte mich über die vielen Nachbarn, die vor unserem Grundstück
standen und aufs Dach starrten. Näher kommend sah ich, es war kein
Feuer, sondern meine Mutter, die ganz oben auf der Leiter stand und
offenbar mit dem unbeeindruckten Affen verhandelte. Der hatte erstmalig
die Chance genutzt, durch ein offenstehendes Fenster zu klettern, um
einen Ausflug auf das Hausdach zu unternehmen. Ganz abhauen wollte aber er nicht, nur
mal ausgiebig eine ganz neue Freiheit kosten. Allerdings wurde es
inzwischen schon kühl und das Futter befand sich drinnen, also
entschloss er sich, zu seinem Menü zurückzukehren. Das bestand heute
aus Mehlwürmern, gewärmter Milch, weich gekochtem Ei, Salatblättern
und Apfelscheiben. Allerdings hielt er die Anhänglichkeit seiner
Familie für sehr bedenklich, die ihm sogar auf das Dach folgte und
jetzt Probleme hatte, wieder heil herunter zu kommen. Das Klettern
sollte sie doch lieber ihm, dem Affen, überlassen.
Der Kuchen für das Damenkränzchen war auch neu
Auf unserem Hof lebten auch 22 Hühner und ein Hahn. Freundliche Küchenfrauen
der benachbarten Ausbildungseinrichtung für künftige Bauleute:
Essensabfälle gab es jeden Tag in Massen, und da ihr Heimweg sie
sowieso an unserem Zaun vorbei führte, brachten sie täglich ein,
manchmal auch zwei Eimer mit. Die Hühner liebten Eisbein mit
Sauerkraut, gemischt mit Spagetti. Es war Zeit, diesen Frauen zu danken.
Orden gab es aber woanders. Also waren sie zu einem Kaffeekränzchen mit
selbstgebackenem Kuchen eingeladen. Meine Großmutter bevorzugte
Apfeltorte mit geschlossenem Zuckerguss, darin immer ein herber Schuss
Zitrone. Der Termin kam heran, und der Kuchen mit dem frischen Guss
stand schon im Fenster zum Abkühlen. Wenn man nicht an alles denkt...
Am Tage schlief der Affe, und man konnte ihn schon mal vergessen. Aber
heute war es anders, er schlief nicht so tief wie gewöhnlich. Er lag in
seiner Höhle und schnupperte und schnupperte dann zog der Geruch von
etwas ganz Neuem durch seine Nase. Nicht lange und er fand das gute Stück
auf dem Fensterbrett. Der Affe tat, was die Natur gebot, und was er mit
Neuem immer tat. Er verpasste dem Kuchen einen "Schuss Affe".
Wenn jetzt ein anderer Affe käme, wüsste er genau Bescheid. Die Frauen
trudelten etwas später ein, und das Kaffeekränzchen begann, natürlich
zuerst mit Likörchen und Bohnenkaffee. Der Kuchen war endlich
angeschnitten und auf den Tellern verteilt. Er sah gut aus, roch gut und
machte so richtig Appetit. Allerdings wunderte sich meine Großmutter
jetzt, dass die Damen beim Essen ungewohnt verhalten wirkten, obwohl sie
alles restlos aufaßen. Sicher war es ihre ländliche Bescheidenheit,
denn fast alle kamen vom Lande. Etwas schmeckte aber trotzdem bitter,
sicher war es zu viel Zitrone. Das gleiche dachten die Damen, ohne es
auszusprechen etwas zu viel Zitrone. Auf den Affen kam keiner, denn das
heutige Thema drehte sich ja hauptsächlich um Hühner, außerdem
schlief der Affe ja.
Der Affe lebte einige Jahre in unserem Haus, hinterließ Spuren auf Möbeln
und Textilien und auch bei den einzelnen Familienmitgliedern. Die einen
hatten Angst, die anderen Spaß, er blieb aber trotzdem ein Wildtier,
das nicht unter Menschen leben sollte, das hier aber nur unter unserer
Obhut überleben konnte. Der Versuch, ihn dem Zoo zu übergeben,
scheiterte, denn nach 3 Tagen brachten ihn die Zoologen wieder zurück.
"Er verweigert die Futteraufnahme und würde bei uns
eingehen, er braucht seine Herde." Womit wir gemeint waren.
Also war der "Hausgeist" wieder da. Gäste mögen den kleinen
Affen auch als Hausgeist empfunden haben, denn unser Gästezimmer lag in
der oberen Etage, die Toilette unten. Wenn in der Nacht sich also jemand
im Treppenhaus in egal welche Richtung bewegte, dann begegnete er dem
Affen, der ihn als willkommenen Spielkameraden sah und forderte, aus Übermut
in die Fußfesseln kniff oder demjenigen auf die Schulter sprang.
Ein Dieb oder Einbrecher hätte vielleicht einen Herzinfarkt
bekommen. Manche ältere Damen, die bei uns zu Gast weilten, sprangen
einige Male die Treppe herauf, vielleicht wie in Jugendjahren, bloß um
nicht vom übermütigen Affen erwischt zu werden.
Es gäbe noch sehr viele lustige Episoden aus dem Leben mit dem Affen
zu erzählen, seien es Fahrten mit der Straßenbahn, wo er plötzlich
seine kleine Hand aus der Tasche streckte, oder Arztbesuche, wo es
"vom Affen gebissen" hieß usw. Unser Äffchen stürzte
irgendwann unglücklich, kränkelte seitdem, wurde Stammkunde in der
Rostocker Tierklinik und verstarb nach langer Pflegephase im Mai 1972 in
einem richtigen Bett. Der Körper wurde dem Rostocker Zoo übergeben, wo
sich auch heute noch in der Rostocker Zooschule sein Skelett befindet. |
Danke schön an Stephan Bohnsack
für seine tierische Geschichte mit den Fotos vom Äffchen.
"Affengeschichten": Seeleute Rostock e.V.,
April 2011, Jan. 2015
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10.01.2015 |
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"Tradi" - Fakten
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