"Un sowat möt mi passiern - up mien letzt
Reis!", sagte Kapitän Fritz Leutholdt.
Es war auf einer Ostseereise für STENA-LINE gewesen, auf der Kapitän
Leutholdt zum ersten Mal auf unserem Schiff als "Vertreter-Kapitän"
fuhr, als wir zwei uns auch gleich bei einem gemeinsamen Erlebnis
richtig kennen lernten. Von da an kamen wir sehr gut miteinander klar.
Aus dem Kapitän war inzwischen Fritz und aus dem Kulturoffizier Päule
geworden, was nichts an unserem Verhältnis zueinander im Dienst änderte.
Und nun, im Sommer 1970, hatte Kapitän Leutholdt an die Direktion der
Reederei die Bitte gerichtet, er möchte auf seiner letzten Reise als
Kapitän nach Kuba fahren dürfen. Danach würde er aus der DSR
ausscheiden und in seiner Heimatstadt Stralsund weiter Dienst tun
wollen. Und so fuhren wir im November 1970 gemeinsam gen Kuba.
MS "Völkerfreundschaft" auf einem
Bildnis von Marinemaler Mario Hennings, Greifswald
Mit freundlicher Genehmigung | Foto: Paul Rohr, Berlin
Bald bekam man das Gefühl, Petrus oder Neptun, oder sogar beide,
waren ihm, dem Kapitän, nicht wohl gesonnen. Kaum hatten wir den
Englischen Kanal verlassen, hieß es bei Ushant Wind von vorn. Und so
mussten wir die Nase, den Bug, mächtig in den Atlantik tauchen. Damit
nicht genug, wir erreichten die Inselgruppe der Azoren bei der Insel
Flores am frühen Nachmittag bei starkem Wind. Der hielt an bis zur
Insel Santa Cruz, was schon sehr ungewöhnlich war. Gegen 21.30 Uhr
musste der Kapitän sogar die Stabis ausfahren lassen, die
Stabilisatoren, zwei "Unterwasserflügel", welche durch ihre
Gegenbewegung das seitliche Schlingern erheblich vermindern.
So fuhren wir nun schon drei Tage gegenan, keine Aussicht auf anderes
Wetter - und das im so genannten Schutz der Azoren!
Am nächsten Tag im offenen Atlantik schrieb der Kapitän in sein
"persönliches" Tagebuch: Wind sehr stark, hohe Dünung.
Er legte daraufhin gegen Mittag fest: "Weniger Fahrt machen".
Am nächsten Tag - es war der siebente Reisetag - steht in seinem
Tagebuch: Windrichtung von NNW bis WSW und noch mehr Wind.
Im Klartext: Wir fuhren nun bereits über sechs Tage gegenan.
Kann sich der "normale" Mensch an Land vorstellen, was das für
einen Urlauber bedeutet, eine Woche nur Schaukelei? Worauf man sich
gefreut hat - endlich auszuspannen, sich zu erholen und an Deck im
Liegestuhl in der Sonne liegen zu können, nix is. Und das Essen?! Man
sagt, rauf schmeckt es nie so gut wie runter. Ist das den Menschen an
Land auch klar? So gab es oft bei den Mahlzeiten viel Platz im
Speisesaal.
Wir fuhren nun bereits achtundfünfzig Stunden mit dem Kommando
"Weniger Fahrt". Auch wer an Land lebt und wer diesen Bericht
liest, dem ist sicher klar - die Stimmung unserer Urlauber war
schlecht. Übelkeit bei vielen, miese Stimmung bei fast allen.
Und da finden sich dann immer irgendwelche Leute, die alles, aber auch
restlos alles immer besser wissen als der Kapitän. Und das, obwohl
diese Leute noch nie eine Schiffsreise gemacht haben, natürlich keine
Ahnung und Vorstellung von der Führung eines Passagierschiffes haben,
aber trinkfest sind.
Und so hatte sich eine Gruppe zusammengefunden, die, sagen wir mal
vornehm, stänkerte. Gegen wen? Natürlich gegen den Kapitän und seine
gesamte Crew. In so genannten "Diskussionen", die diese Leute
führten, lauthals auf den Decks, in der Bar, überall, forderten sie
vom Kapitän: "Wir verlangen, dass die verlorene Zeit auf See, die
sich ja auf die gesamte Reisezeit auswirken wird, um einen Tag auf Kuba
verlängert wird! Sonst!?" Anführer der Gruppe war ein Urlauber,
der in Berlin ein privates Taxi-Unternehmen führte, jetzt auf einer
Gewerkschaftsreise den "großen Mund" hatte und in der
Nachtbar als "feiner Maxe" nur so mit Geld um sich schmiss.
Kapitän Leutholdt hatte natürlich sowohl durch uns, seine leitenden
Offiziere, als auch durch den Hauptreiseleiter von dieser Gruppe
erfahren. In einer gemeinsamen Beratung wurde festgelegt: "Alle
Passagiere in den Speisesaal zur Entgegennahme einer Information."
Und so kamen sie, wie sie an Deck gelegen hatten, leicht bekleidet,
unsere Urlauber. Essengruppe 1 um 9.30 Uhr, Essengruppe II um 10 Uhr.
Der Kapitän betrat pünktlich, was sowieso seine Stärke war, den
Speisesaal. Anwesend waren der Hauptreiseleiter mit seinen
Reisegruppenleitern sowie der Kulturoffizier und der Chefsteward mit
seinen drei Oberstewards. Nie werde ich diese eigenartige und
spannungsgeladene Situation vergessen. Da steht ein Kapitän in
kompletter blauer Uniform mit Schlips und Kragen und vor ihm stehen,
sitzen minibekleidete Urlauber und hören gespannt zu.
Der Kapitän: "Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie davon in
Kenntnis setzen, dass ich als Kapitän das Recht habe, alle Gesetze der
DDR voll in Anwendung zu bringen. Ich danke Ihnen!"
Erstaunen allerseits. Und betretenes Schweigen. Der Kapitän geht.
Erst am späten Abend dieses so "außergewöhnlichen" Tages
konnten ab 22 Uhr beide Maschinen wieder voll eingesetzt werden.
Am nächsten Morgen, es war der 24. November, Windstärken zwischen 5
und 7, bloß oder immer noch. Dazu kam etwas Neues, was wir auf
bisherigen Kuba-Reisen so noch nicht gehabt hatten. Petrus zeigte uns
alles, was er hatte oder konnte - Gewitter und Regen. Und noch vier
Tage bis nach Kuba. So berieten wir gemeinsam - Reiseleitung und
Schiffsleitung - wie soll es weiter gehen hier an Bord und dann auch an
Land mit einem Tag weniger Aufenthalt. Der Beschluss lautete:
Kulturoffizier Paul Rohr erarbeitet einen Vorschlag für ein "verändertes
Landprogramm". Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Lage.
Weder der Kapitän noch die Reiseleitung der Gewerkschaft kennen das
Land und auch nicht die entsprechenden Bedingungen für ein
Landprogramm.
Per Funk geht diese Konzeption nach Havanna. Inhalt: Wir haben bisher
durch das schlechte Wetter einen Reisetag verloren. Können jedoch
diesen Tag leider nicht länger auf Kuba bleiben, weil unser Schiff
planmäßig am 16. Dezember in Rostock vorliegen muss, damit die danach
folgenden Reisen nicht gefährdet werden. Trotz des einen Tages weniger
Aufenthalt enthält unser Vorschlag, dass alles was vorgesehen war,
auch durchgeführt werden soll, wenn auch in veränderter Form.
Organisatorisch wäre das aus unserer Sicht möglich.
Es folgte die Bitte um sofortige Bestätigung.
Am späten Abend kam der Anruf vom Kapitän: "Paule, dein
Vorschlag ist von der kubanischen Seite angenommen und bestätigt
worden."
Zwei Tage standen uns noch bevor, ehe wir Kuba erreichen würden. Um
9.30 Uhr und 10 Uhr riefen wir über den Bordfunk noch einmal die
Urlauber in den Speisesaal. Dieses Mal war es der Hauptreiseleiter, der
den Passagieren in einer Erklärung mitteilte: "Alles was im
Landprogramm vorgesehen ist, wird auch so stattfinden. Obwohl wir einen
Tag weniger auf Kuba sein werden haben die kubanischen Freunde unseren
Vorschlag, vom Kulturoffizier erarbeitet, bestätigt."
Damit war der Gruppe der Wind aus den Segeln genommen. Die Stimmung der
Urlauber war wieder rundum normal und gut, was sicherlich durch das
inzwischen einmalig schöne warme Wetter begünstigt wurde.
Und so nähern wir uns der Küste der USA und niemand ahnt, was uns am
kommenden Morgen erwartet: SOMBRERO! Unter diesem Decknamen hatten drei
Ärzte geplant, diese Schiffsreise zu nutzen, um ihre Heimat zu
verlassen.
Irgendwie war es diesen Leuten gelungen, mit westlichen Geheimdiensten
Verbindung aufzunehmen, denn sie wurden erwartet, obwohl wir 24 Stunden
Verspätung hatten. Bereits auf dem Bahnhof von Magdeburg fielen diese
drei Männer dadurch auf, dass sie nicht nur laut singend, sondern auch
mit einem Sombrero auf dem Kopf den Zug nach Warnemünde bestiegen, um
dort an Bord zu gehen.
Nach dem Passieren der Azoren - einem Seegebiet, wo die Temperaturen im
allgemeinen ansteigen - freuen sich alle Passagiere in der Regel und
sie nutzen die Zeit, sich an Deck, wie man so sagt, ein schönes Plätzchen
zu suchen. Da achtet niemand auf den anderen, jeder möchte nur seinen
Platz, wenn möglich für die ganze Reise, haben.
Die Drei hatten es verstanden, sich so "aufzuführen", sich
so zu "benehmen", dass man sie eben nicht mehr beachtete.
Ach, die da mit ihrem etwas anderen und eigenartigen Auftreten und
Verhalten.
Sie machten "sportliche" Übungen an der Stelle, von der sie
dann auch gesprungen sind. Sie taten so als ob, als wollten sie einfach
so irgendwo mitten im weiten Atlantik mal eben über Bord hüpfen. So
waren die Drei einfach drei Männer, drei Urlauber, die nun endlich mal
Freizeit haben und sich so bewegen können, wie sie möchten und
wollen.
Am Freitag, dem 27. November 1970, ist morgens um sechs Uhr bei gutem
Wetter die See ruhig. Um 7.34 Uhr ertönt das Signal "Mann über
Bord". Der Schiffsrat sitzt beim Frühstück. Der Schreiber dieser
Zeilen gehörte als Kulturoffizier ebenfalls zum Schiffsrat. Gefrühstückt
wird in der Nachtbar, einem kleinen abgeschlossenen Raum, wo auch
kleine dienstliche Angelegenheiten beim Frühstück besprochen werden können.
Wir hatten schon ein "eigenartiges" Brummen gehört, dem
jedoch keine weitere Bedeutung beigemessen, weil es hier vor der Küste
von Florida normal war, für uns schon dazu gehörte, dass wir von
US-Flugzeugen überflogen wurden. Schließlich liefen wir innerhalb der
DreiMeilen-Zone der USA, also dicht vor der amerikanischen Küste im
Gegenstrom des Golfstromes. Das war für unsere Fahrt günstiger, weil
wir mit dem Strom liefen und so Treibstoff sparten. Über uns stand ein
großes Flugzeug. "Stand" bedeutet soviel, dass es mit der
gleichen Geschwindigkeit, die wir liefen, über uns flog. Dazu kamen
zwei kleine Cesnas und auf dem Wasser mehrere kleine, aber schnelle
Motorboote.
Die Deutung aus unserer Sicht: Die große Maschine gab den zwei kleinen
per Funk Hinweise, wo ein Mensch im Wasser schwimmt. Die Kleinen
zeigten es den schnellen Motorbooten und die wiederum holten die
Springer aus dem Wasser.
Gesprungen sind sie bei einem Leuchtfeuer. Gesprungen sind drei Ärzte
aus Magdeburg und ein BMSR-Techniker, ich weiß nicht, woher er war.
Gesprungen sind sie von der Stelle an Bord, an der sie sich die ganze
Zeit aufgehalten hatten, von Oberdeck Steuerbord.
Ob es Zusammenhänge, Verbindungen zwischen der Gruppe der Ärzte und
dem Techniker gegeben hat, das war uns unbekannt. Unbekannt war uns zu
dem Zeitpunkt auch, dass von einem der Ärzte die Ehefrau ebenfalls an
Bord mitreiste, jedoch nicht mit ihm zusammen wohnte und es auch keine
Kontakte zwischen beiden gegeben hat.
Eine vom Kapitän zusammengestellte Gruppe, bestehend aus dem
Hauptreiseleiter, dem Feuerwehroffizier sowie einem weiteren Offizier,
hat dann sofort die Kabinen durchsucht. Man wusste schließlich nicht,
welche Hinterlassenschaften dort noch lagerten. Erstaunt, sehr erstaunt
waren sie darüber, dass der in der Kabine der drei Ärzte tätigen
Kabinenstewardess überhaupt nichts aufgefallen war. Passagiere, die
auf einer Kubareise ganze 33 Tage unterwegs sind, benötigen doch wohl
eine entsprechende Bekleidung. Die Drei hatten kaum etwas an Bekleidung
dabei, nur so ein paar Kleinigkeiten. In der Kabine des Technikers,
einer Vier-Bett-Kabine, meinten die Mitbewohner, das war ein absoluter
Einzelgänger, maulfaul und unzugänglich. In seinem Schrank fand man
eine Büchse mit etwa dem Fassungsvermögen einer großen Konservenbüchse,
versiegelt mit einem Griff, ähnlich einer Autotür.
Diese Büchse wurde vom Feuerwehroffizier sofort durch das Bulleye
hinausgeworfen, ohne sie näher zu untersuchen. Angenommen haben wir,
dass sich darin ein Farbstoff befand, welcher, wenn er auf die See
kommt, zu leuchten beginnt, um so auf die Position eines Menschen im
Wasser aufmerksam zu machen.
Die Flugzeuge waren weg, die dazu gehörenden Motorboote ebenfalls. Um
uns herum normaler Betrieb. Einige Sportboote, welche anscheinend zum
Angeln draußen waren. Auf den Decks war eine Situation entstanden, die
man nicht näher beschreiben kann, weil
wir so etwas noch nie erlebt hatten.
Vor allem auf dem Oberdeck, von wo sie gesprungen waren, war die Auf-
und Erregung groß. Die Urlauber, die direkt, ganz dicht neben den
Dreien, sozusagen Tag und Nacht, mehrere Tage, gelegen hatten, sich mit
ihnen unterhalten hatten, die fanden deren Verhalten, dieses Tun von
einem Arzt unverständlich. Die früh noch Sekt miteinander getrunken
hatten, den die Drei ausgegeben hatten unter dem Motto: In ein paar
Stunden ist die Seefahrt vorbei und wir sind an Land, denn wir würden
ja am Nachmittag Kuba erreichen.
Der Kapitän hat sofort über Funk unsere Reederei verständigt.
Anschließend gab es eine Beratung beim Kapitän, wie in dieser
Situation weiter verfahren werden sollte. Der Hauptreiseleiter und der
Kulturoffizier haben die Reisegruppenleiter zusammengenommen, und diese
haben danach ihre Reisegruppen informiert, denn die Urlauber auf den
anderen Decks sowie auf dem Vorschiff hatten ja überhaupt nichts
miterlebt und noch weniger begriffen, was geschehen war.
Bei dem Treffen der Reisegruppen meldete sich dann eine Urlauberin und
bat, den Kapitän und den Hauptreiseleiter sprechen zu dürfen. Bei
diesem Gespräch stellte sie sich vor: "Ich bin die Ehefrau des
XYZ, einem der drei Ärzte. Meine Schwiegermutter wollte unbedingt,
dass ich an der Reise teilnehme. Sie wollte so versuchen, zu retten,
was nicht mehr zu retten war. Glauben Sie mir, die bisherigen Tage
waren für mich nicht einfach. Es hat zwischen uns beiden, meinem Mann
und mir, hier an Bord kein einziges Gespräch gegeben."
Beide, Kapitän und Hauptreiseleiter, haben ihr dann vorgeschlagen,
dass man sie so behandeln würde, wie eine normale Urlauberin. Für
diesen Vorschlag war sie sehr dankbar. Unser Schiff lief weiter in
US-amerikanischen Hoheitsgewässern, unbehelligt, ungestört von
irgendwelchen Behörden, wie zum Beispiel der US-Küstenwache.
An Bord hatte sich inzwischen das Leben wieder
"normalisiert". Die Passagiere und die Besatzungsangehörigen,
die Freiwache hatten, lagen an Deck in der Sonne. Einige
Besatzungsmitgliederhatten ein Radio dabei. Um 13 Uhr Ortszeit meldete
man dort im Rundfunk: Vier Menschen ist heute früh gegen 7.30 Uhr vor
Miami vom Zonendampfer VÖLKERFREUNDSCHAFT aus Ostdeutschland der
Sprung in die Freiheit gelungen.
Als wir nach dem 16. Dezember wieder daheim in Rostock waren, erzählten
uns unsere Angehörigen, dass am 27. November, als sich das Manöver
SOMBRERO ereignete, die westdeutschen Sender in ihren Abendnachrichten
darüber berichtet hatten.
Gegen 15 Uhr kam Havanna in Sicht. Alle standen an Deck, in freudiger
Erwartung ihres Urlaubs auf Kuba. Um 16.30 Uhr kletterten die Behörden
an Bord. Gesundheitsdienst, Zoll und die Einreisebehörde kamen schon
auf Reede und begannen sofort mit der Einklarierung des Schiffes. Genau
um 18 Uhr machten wir dann an der Pier SAN FRANCISCO fest. Zwölf
Seetage und ein besonderes Vorkommnis lagen hinter uns.
Um 18.15 Uhr kam der Botschafter der DDR auf Kuba an Bord. Die
Einklarierung dauerte diesmal besonders lange, und man hatte das Gefühl,
die Behörden wussten nicht so recht wie sie sich verhalten sollten.
Inzwischen hatte der Hauptreiseleiter als Repräsentant der
Gewerkschaften der DDR seine kubanischen Gäste empfangen, und so
konnten wir in Ruhe mit dem kubanischen Reisebüro das Landprogramm
besprechen.
Der Kulturoffizier war sehr glücklich, weil die kubanischen Partner,
seinen, meinen von See gefunkten Vorschlag in allen Teilen bestätigten.
Wir konnten wirklich trotz des einen Tages weniger Aufenthalt unseren
Urlaubern das volle Programm bieten.
Als um 22.30 Uhr die kubanischen Behörden das Schiff
"freigaben", nach immerhin fast acht Stunden Einklarierung,
und damit auch der Landgang freigegeben wurde, waren unsere Urlauber
nicht mehr zu halten. Sie stürmten an Land. Nun geht's los, nun werden
wir Havanna erobern.
Von der Gangwaywache hörte ich dann, es sollen morgens gegen sechs Uhr
noch Urlauber vom "Spaziergang" wieder an Bord gekommen sein.
Das ist doch wohl mehr als verständlich nach der langen und außergewöhnlichen
Überfahrt, oder? Lange Zeit hatten sie auf diese Reise gewartet,
gespart. Dazu kam diese nicht gerade angenehme Überfahrt. Und dann
kann man sich endlich das anschauen, auf was man s000 lange gewartet
hat.
An Bord ging ein arbeitsreicher Tag zu Ende, besonders für den Kapitän.
Er hatte sich sofort nach dem Festmachen mit dem Botschafter in seine
Kammer zurückgezogen. Am Sonnabend, dem 28. November, begannen die
Urlauber mit ihrem Landprogramm, der Kapitän empfing wieder den
Botschafter zum "ausführlichen Gespräch", wie er es in
seinen Aufzeichnungen nannte. Die Besatzung hatte viel Arbeit, vor
allem der Wirtschaftsbereich mit den Brigaden Kabinenstewardessen,
Speisesaal, Cafe.
Aus dem Tagebuch des Kapitäns vom darauf folgenden Sonntag:
Temperatur +27 Grad, wieder Gespräch mit der Botschaft.
Die Urlauber waren zufrieden und glücklich über das, was sie
erlebten, sowohl bei den Ausflügen als auch beim "persönlichen"
Ausgang, wenn sie allein an Land gingen und dann spät oder früh erst
wieder an Bord kamen "Ist das schön hier, alles!"
Der Kapitän saß wieder mit dem Botschafter zusammen. Fritz bedauerte
ich wirklich. Er wollte doch nur einmal nach Kuba und wollte doch nur
einmal etwas von diesem Land "sehen und erleben". Un nu? Nu
sitt hei un kann ümmertau 'ne Beratung affholln ...
Tagebucheintrag des Kapitäns vom Donnerstag, dem 3. Dezember:
Donnerstag, 3. Dezember, warten auf die letzten Gäste aus dem
Abschlussabend im Tropicana, deshalb Auslaufen 4.30 Uhr statt 3.00 Uhr.
Weiter im Tagebuch des Kapitäns: Neue Route entlang der Nordküste
Kubas, Bahama Strom, statt Richtung Florida.
Unsere Heimreise begann. Keiner wusste Bescheid, wo es lang geht. Nur
langgediente Besatzungsmitglieder wunderten sich: Wo sind wir denn?
Die Urlauber ruhten, erholten sich, zum einen von den wirklich
anstrengenden Tagen des Landprogramms, aber auch vom gestrigen
Abend/Nacht-Programm. Hauptsache, die Sonne scheint. Und so fuhren wir
entlang der Nordküste Kubas.
Am Freitag, dem 4. Dezember, schreibt der Kapitän in sein Tagebuch:
Immer noch Küste Kuba, Temperaturen 29 Grad C. Keine Erklärung an
die Passagiere. Die genießen diese Ruhe und die Temperaturen. 15
UhrNeptun-Taufe, 18 bis 21 Uhr "Sicherungsmaßnahmen", Kurs
Ost.
Zu den "Sicherungsmaßnahmen" kann ich nur sagen: Keiner
wusste was.
Aus dem Tagebuch des Kapitäns, Samstag 5. Dezember:
Öffnung des Freibades auf dem Oberdeck, Temperaturen 26 Grad C.
Telegramme dürfen nur im Notfall verschickt werden, das heißt die
Urlauber können nicht, so die Umschreibung, sie dürfen nicht, wenn
sie möchten, ein Telegramm nach Hause senden, wie es normalerweise auf
einem Passagierschiff möglich ist, auch bisher auf dem unseren. Das
war wohl ein Teil der Ergebnisse der Beratungen mit der Botschaft in
Havanna.
Am darauffolgenden Sonntag ist der Tag des Gesundheitswesens der DDR. Für
die Passagiere verläuft das Bordleben "normal". Für sie
haben sich keine nachhaltigen Probleme ergeben, wenn man davon absieht,
dass sich einige von ihnen bei ihrem Reiseleiter erkundigt haben, warum
denn keine Telegramme verschickt werden dürften.
Wir sind ja nun schon immerhin fünf Tage unterwegs, doch zum Glück
ist die Stimmung unserer Urlauber gut und diese komischen Revoluzzer
mit dem Taxi-Onkel an der Spitze scheinen sich wirklich abreagiert zu
haben. Aus der Sicht des Kulturoffiziers ist das doch das Beste
"wo gibt" - zufriedene Urlauber. Es scheint so, als wäre
SOMBRERO nie geschehen.
Der Kapitän schreibt in sein Tagebuch:
Sonntag, 13. Dezember, gute Sicht, Frühschoppen, Verabschiedung des
1. Offiziers Großkiags und der!. Kabinenstewardess Ansorg, genannt
" Tante Lotti" durch den Kapitän, 13 Uhr Ushant. Heute
vormittag hat der Kapitän den Ersten Nautischen Offizier, Herbert Großklags,
verabschiedet, der dann als Kapitän in der Flotte weiter Dienst tun
wird. Weiterhin hat der Kapitän "Tante Lotti" verabschiedet.
Sie hat als Erste Stewardess in der Brigade Kabinenstewardessen
gearbeitet. Zu ihrem Bereich gehörten Kapitän, I. Offizier, Leitender
Technischer Offizier, Funkoffizier, die jeweils "unter der Brücke"
wohnen. Tante Lotti war bereits seit Indienststellung unseres Schiffes
1960 an Bord und wurde nun Rentnerin. Im Passagierbereich gab es keine
besonderen Vorkommnisse. Bei einer Zusammenkunft mit den
Reisegruppenleitern wurde danach gefragt. Alles okay.
Im Wirtschaftsbereich wird hart gearbeitet. Bäckerei und Kombüse
haben viel zu tun, denn morgen Abend ist Abschiedsabend. Wir werden
dann schon in der Nordsee sein und hoffentlich ruhige See haben.
Montag, 14. Dezember: Sicht gut, Wind 3-4 aus NW, 6.30 Uhr
Feuerschiff St. Daddy im Kanal. Am Nachmittag gab es einen kleinen
Empfang beim Hauptreiseleiter. Der Kollege Brandt wollte Dankeschön
sagen an einige Offiziere, mit denen er während der Reise zusammen
gearbeitet hatte, und ohne diese, wie er es ausdrückte, sehr gute
Zusammenarbeit wäre die Reise nicht so erfolgreich gewesen, wie sie
nun verlaufen ist.
Am Abschiedsdinner im Speisesaal nahmen die leitenden Offiziere des
Schiffsrates zusammen mit dem Hauptreiseleiter teil. Dort wurden dann
noch ein paar Worte des Dankes an Schiff und Besatzung gerichtet und
dann war Tanz in allen Räumen - im Cafe, im Speisesaal mit "The
Kitchenband", im Klubraum mit einem Diskjockey. Somit werden wohl
alle Urlauber eine Gelegenheit zu einem Abschiedstanz gefunden haben.
Petrus meinte es gut mit uns als Entschädigung für die Hinreise.
Tagebucheintrag des Kapitäns am Dienstag, dem 15. Dezember: Klare
Sicht, Wind NW, rund um Dänemark. Stimmung der Passagiere nicht gut,
wie im Vulkan. Eigentlich geht die Heimreise ja um Skagen und dann
durch den Fehmarn-Belt, wo uns fast immer jemand erwartete.
BUNDESGRENZSCHUTZ steht oben in Grün auf ihren Schiffen - und die
liefen dann auf beiden Seiten mit bis zur Grenze der DDR. Das wollte
man nun in der Reederei oder in höheren Ministerien sicher vermeiden,
denn man weiß ja nie.
Wir fuhren also rund um Dänemark, und es war uns, die wir wussten, wo
wir liefen, überhaupt nicht wohl dabei. So konnte man die Worte des
Kapitäns Leutholdt verstehen von der "nicht guten Stimmung der
Passagiere" und "sie werden verscheißert".
Die Brücke und der dort diensttuende Wachoffizier hatte den Auftrag, für
die Passagiere Durchsagen zu machen, wo sich das Schiff zur Zeit
befindet. "Wir passieren an der Steuerbordseite querab gerade
Fehmarn Feuerschiff."
Der Kulturoffizier sitzt im Cafe sozusagen auf dem Sprung mit einigen
Reisegruppenleitern, falls etwas passieren sollte. Da tritt ein
Passagier zu uns an den Tisch: "Kann ich den Kulturoffizier mal an
das Fenster bitten?" Wir treten auf der Steuerbordseite im Cafe an
ein Fenster und schauen hinaus. "Was du da drüben siehst,
Kulturoffizier, das ist nicht Fehmarn Feuerschiff, das ist die
Neon-Leuchtreklame von TUBORG. Wir laufen nämlich gerade an Kopenhagen
vorbei! Was IHR hier mit uns, den Passagieren, macht, ist eine
ausgesprochene Sauerei! Man hält uns für blöd! Wer hat dazu die
Weisung gegeben? Der Kapitän doch sicher nicht. Denn ich weiß, die
Route geht eigentlich von Skagen durch den Fehmarnbelt. Und ich kenne
die Brauerei TUBORG. Glaubt ihr, die Urlauber sind bescheuert und blöd?
Paul! Was man mit euch hier macht, ihr tut mir leid! Ich wünsche dir
und deinem Schiff nie wieder so eine Reise. Tschüss!"
Der Urlauber war Außenhandelskaufmann und schon öfter "draußen"
gewesen. Und wir Zwei hatten uns auf der Reise gern und oft
unterhalten.
Letzter Tagebucheintrag des Kapitäns:
Mittwoch 16. Dezember 1.30 Uhr dänischer Lotse bei Drogten Fyr,
7.15 Uhr Warnemünder Lotse, 8.30 Uhr fest.
Alles stürzt von Bord. Viel Besuch verschiedener Dienststellen
betreffs SOMBRERO.
Über 30 Jahre später, bei meinem Besuch von Fritz daheim in
Stralsund, kamen wir, als er mir das hier oft eingefügte Tagebuch
dieser Reise übergab, noch einmal auf diesen Törn zu sprechen. Und er
meinte: "Ja, ich hätte mir schon mal soon büschen was gerne
angesehen, aber so is dat nu mal - Kaptein is Kaptein." Das
drückt in seiner Einfachheit den ganzen Fritz Leutholdt aus.
|