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Reinhard Lachs, Rostock

FLÄMING aus Holland

MS "Fläming" und Bauaufsicht in Dordrecht/Holland

November 2007

In Ausschnitten erschienen in "Bordgeschichten"-Ausgaben,
 DSR-Seeleute e.V., Freiberg, www.seeleute.de fremdlink.gif.


Seefahrt ist schön! Noch schöner kann die Seefahrtszeit sein, wenn man ein neues Schiff bekommt, das in Holland gebaut wird und man selbst zur Bauaufsicht gehört. Neun Monate in Holland leben, neun Monate in Dordrecht, das kann man nicht vergessen. Rotterdam und Amsterdam kennen fast alle Seeleute, aber das kleine Städtchen Dordrecht im Binnenland ist keine Hafenstadt für große Schiffe. Da gibt es nur eine Werft und eine kleine Pier für Binnenschiffe. Aber der Reihe nach.

Die DSR gab in den Niederlanden neben einer größeren Anzahl "Kümos" auch drei etwas größere Frachter in Auftrag. Die sogenannten "Holland-Frachter" wurden in Lobith, Hardinxveld und Dordrecht gebaut. Die Übergabe der "Eichsfeld" war am 12.5.1967, der "Prignitz" am 2.6.1967 und der "Fläming" am 24.6.1967. Die Dampfer hatten 7.500 tdw und sollten eine Geschwindigkeit von 17,7 Knoten erreichen. Geplantes Einsatzgebiet war Ostafrika. Für alle drei Neubauten wurden von der DSR schon rechtzeitig die wichtigsten Positionen der späteren Besatzung für die Bauaufsicht ausgewählt. Neben einer zentralen Bauaufsicht wurden die Kapitäne, die Chiefs und die E.-Ing.s für die jeweiligen Schiffe nach Holland beordert. Nun hatte ich das große Glück, für die "Fläming" nach Dordrecht fahren zu dürfen. Als Kapitän war Willi Jühlke und als Chief Günter Bethin vorgesehen. Beide waren schon vor Ort, als ich im September 1966 anreiste. Von Schönefeld ging es mit einer alten IL-18 nach Amsterdam, mein erster Flug im Leben überhaupt. Es war schon ein Abenteuer, mit diesem Vogel zu fliegen, aber ich lebe ja noch. In Dordrecht hatte unsere Bauaufsicht eine kleine 3-Zimmer-Wohnung in einem Neubaugebiet. Kapitän Jühlke wohnte im Hotel. Mein Chief, der verantwortliche Schiffbauer und ich teilten uns die recht gemütliche Unterkunft. Zur Werft hin war es eine gute halbe Stunde Fußweg. Wir hatten uns dann auch um ein "Fiets" - ein Fahrrad - bemüht, aber davon ließen wir wieder ab. Später stellte man uns einen kleinen PKW zur Verfügung, mit dem wir Land und Leute erkunden konnten. Nach Keukenhof, Den Haag, Amsterdam, Madurodam und anderen sehenswerten Orten sind wir dann an den Wochenenden gefahren.

Die Werft hieß "De Biesbosch" und lag an einem Nebenarm der Maas. Wir wurden dort sehr freundlich aufgenommen und bekamen ein Büro zugewiesen. In den ersten Wochen, das Schiff war noch im Rohbau, hatten wir außer einigen Schiffbauzeichnungen keine weiteren Unterlagen. So mussten wir die Zeit mit Spaziergängen durch die Werft und über den langsam wachsenden Dampfer irgendwie verbringen. Wir waren immer froh, wenn neue Unterlagen von der Bauaufsicht der "Eichsfeld" kamen. Ansonsten wurde viel Kaffee getrunken, "Douwe Egberts" - das war unsere Marke. Es war dann manchmal zuviel des Guten. Aber in der Nähe der Werft war auch eine kleine Kneipe, in der wir manchmal das gute "Heineken"-Bier oder den "Alten Genever" probierten. Die Gläser wurden, wie in Holland üblich, bis zum oberen Glasrand, wenn möglich mit Berg, gefüllt. Da war zu später Stunde dann schon eine ruhige Hand gefragt.

Die ersten Monate waren relativ ruhig und ohne Probleme vergangen, wenn nicht an jedem Monatsende die Frage der Verlängerung unserer Aufentshaltsgenehmigung gestanden hätte. Wir hatten von der Fremdenpolizei nämlich nur für einen Monat einen Stempel bekommen. Jedesmal wurden wir gefragt, wann wir denn unseren Reisepass mit den gültigen Genehmigungen bekommen würden. Damals brauchten wir DDR-Bürger noch einen internationalen Travelpass, der von den "Alliierten Siegermächten", Amerika, Großbritanien und Frankreich, abgesegnet war. So etwas hatten wir natürlich nicht. Wir waren ja froh, ein Seefahrtsbuch mit gültigem Sichtvermerk unser eigen zu nennen. Also war eine reumütige Haltung und der Verweis auf unsere Organe in Rostock bei der Fremdenpolizei angesagt. Bis zum Dezember 1966 durften wir dann in Holland bleiben.

Es war von der DSR für uns im Dezember, vor Weihnachten, noch ein Lehrgang in Erlangen und Karlsruhe geplant. Wir sollten die neuen Fernsteuerungen der Hauptmaschine und der Dieselanlagen bei der Herstellerfirma Siemens kennen lernen. Danach sollten unsere Pässe fertig sein, und wir mit gültigen Papieren wieder nach Holland einreisen. Aber jeder, der mit den Praktiken der Reisestelle einmal zu tun hatte, kennt das Dilemma. Wie oft wurden Seeleute, besonders die der Ablösebesatzungen oder der Schiffsbesichtigungsgruppe, losgeschickt, ohne dass sie gültige Papiere hatten. Ein Kollege von mir hat oft in den Transiträumen verschiedener Flughäfen gesessen, ohne Geld und Verpflegung. Unser Seefahrtsbuch war eben kein Reisepass, und manche Staaten waren da nicht so locker wie die Holländer.

Zum Lehrgang nach Erlangen mussten wir die Niederlande verlassen und in die BRD einreisen. Da machte sich in Rostock keiner große Gedanken. Mit zwei PKW der Werft und der Bauaufsicht fuhren wir einfach über die "Grüne Grenze". Es gab da zwar ein Zoll- bzw. Grenzhäuschen, aber mit einem Stippen an die Mütze wurden unsere Autos durchgewunken. Wir kennen das ja aus der heutigen Zeit. Damals war das aber schon zwischen den Holländern und den Bundesdeutschen gängige Praxis. Wir sind dann auch gut dort angekommen und haben in den acht Tagen einige Informationen über die neuen Anlagen bekommen. Natürlich war für uns die Vorweihnachtszeit in Nürnberg auch ein Erlebnis. Die alten Burganlagen, die großen Kirchen und nicht zuletzt der Christkindlmarkt waren schon überwältigend. Zumal ich mich noch aus meiner Studienzeit in Wismar daran erinnern konnte, daß in Nürnberg die gleiche Nikolaikirche, wie sie in Wismar zu sehen ist, steht. Wir hatten damals in Wismar einen Deutschlehrer, Martin Müller, oft auf Typ IV- Schiffen mitgefahren, der uns diese Sachen beigebracht hat. Jedenfalls haben wir zum Weihnachtfest für unsere Lieben daheim auch kräftig eingekauft, von einigen Gulden unserer aufgesparten Tagegeldern. So konnten wir alle dann voller Erwartungen mit dem Zug nach Hause fahren. Es gab da eine sehr günstige Verbindung zwischen Köln und Rostock. Besser konnte es nicht gehen. Dachten wir.

Dieser "Interzonenzug" wurde am Grenzübergang bei Hof, natürlich dann auf DDR-Seite, von unseren Grenz- und Zollorganen kontrolliert. Es war nachts gegen zwei Uhr, als wir die schweren Schritte und das Knallen der Abteiltüren vernahmen. Wir wussten, wir sind wieder zu Hause. Unser Abteil war gut gefüllt, die Plätze waren alle besetzt und die Kofferablagen übervoll. Nun fing der Spaß an. Jeder kennt die Begrüßungszeremonie und die Fragen nach den Papieren, den mitgeführten Einreise- und Zollbescheinigungen, den Devisenanmeldungen und unerlaubt eingeführte Waren. Es fing mit den Reisepapieren an.

Wir hatten alle unsere Seefahrtsbücher in der Hand und sahen freudig den Dingen entgegen. Dann setzte das große Kopfschütteln ein. Keine Einreisepapiere, keine Zollbescheinigung, keine Devisenbescheinigung und vor allem keine Ausreisepapiere. Nun begann das Frage- und Antwortspiel. Wo kommen Sie her — aus Nürnberg. Wenn Sie aus Nürnberg kommen, müssen Sie doch irgendwann dorthin ausgereist sein — nein, eigentlich kommen wir aus den Niederlanden. Wie jetzt, wie kommen Sie von den Niederlanden nach Nürnberg — über die Grenze mit dem PKW. Wie kommen Sie ohne Papiere über die Grenze — es hat keiner danach gefragt. Wie kommen Sie überhaupt nach Holland — mit dem Schiff, wir bauen dort ein neues Schiff. Dann benötigen Sie doch auch Ausreisepapiere — ja, unser Seefahrtsbuch. Sie müssen doch einen Ausreisestempel oder andere Papiere haben — Stempel haben wir noch nicht, das Schiff ist ja noch nicht fertig. Aber einen Kapitän müssen Sie doch haben, der einen Schiffsstempel hat — ja, einen Kapitän haben wir, dort am Fenster sitzt er. Kapitän Jühlke konnte aber keinen Stempel vorweisen.

Das alles war den Grenzern unverständlich. So wurden die Seefahrtsbücher eingesammelt und der Gang zum Vorgesetzten angetreten. Mehrmals kam dann ein Grenzer zurück, um Nachfragen zu stellen. Leute, die in die DDR einreisen wollten, keine ordentlichen Papiere vorweisen konnten, das gab es an dieser Grenze noch nicht. Zum Glück traten wir ja im Rudel auf, da musste also doch etwas Wahres an der Geschichte dran sein. Die Zeit verging, die eine Stunde Kontrollzeit für den Zug war vorbei. Die Zöllner wussten auch nicht, was sie mit uns machen sollten, sie gingen einfach an unserem Abteil vorbei. Sollten sich doch erst einmal die "Grünen" mit den Subjekten befassen und einig werden. Kurz vor der Weiterfahrt des Zuges kam dann ein Grenzer mit unseren Seefahrtsbüchern, schrieb sich auf einem Notizzettel, den er aus irgendeinem Buch herausriss, unsere Heimatadressen auf und sagte: "Nun, bis Berlin kommen Sie erst einmal." Damit war die Grenzpassage abgeschlossen. Unsere bis zum Platzen vollgepackten Koffer und Taschen und den Rest der Gulden-Tagegelder brachten wir so unkontrolliert zum Weihnachtsfest nach Hause. In Berlin kümmerte sich kein Mensch mehr um uns. Die Grenzer waren wohl mehr erleichtert als wir, dass dieser Grenzdurchbruch einiger Seeleute ohne Nachspiel blieb.

Weihnachten verging, und ich wartete auf meinen Reisepass. Der Kapitän und der Chief hatten ihre Pässe bekommen und fuhren mit dem Zug nach Dordrecht zurück. Ich bekam in der Reederei die Information, dass an meinem Pass in Berlin gearbeitet würde. Wie lange das dauern würde, konnte keiner sagen. Ich sollte deshalb mit einem Schiff der DSR nach Rotterdam und von dort nach Dordrecht fahren. Im Wismarer Hafen lag die "Condor", die heute als Jugendschiff "Likedeeler" in Rostock-Schmarl liegt. Ich meldete mich also beim Kapitän mit meinem Anliegen. Außer meinem Seefahrtsbuch hatte ich natürlich keine weiteren Unterlagen. Da auf diesem Schiff kein E.-Ing. in der Musterrolle aufgeführt war, ich auch keine Musterung hatte, lehnte der Kapitän meine Mitreise ab. Wie sollte er mich auch nach Rotterdam einschmuggeln, als blinden Passagier etwa? Mir blieb nichts übrig, als wieder nach Rostock zur Reederei zu fahren. Dort gab es dann lange Telefonate. Der "Condor"-Kapitän bekam dann wohl von einer wichtigen Abteilung die Order, mich mitzunehmen. Ich musste mich als E.-Ingenieur für die "Condor" mustern lassen und bin wieder nach Wismar gefahren. Mit offenen Armen wurde ich dort natürlich nicht empfangen.

Da ich vor Weihnachten nicht offiziell aus Holland ausgereist bin, konnte ich jetzt nicht einfach so wieder einreisen. Deshalb bekam ich in Rostock die Order, mich bei meiner Ankunft in Rotterdam nicht bei der Fremdenpolizei zu melden. Ein Vertreter der Maklerfirma Pakhuismeesteren würde mich abholen und nach Dordrecht bringen. Nach dem Einlaufen in Rotterdam fand ich den Makler dann beim Chiefmate in der Kammer und meldete mich mit dem Hinweis, der Fremdenpolizei keine Information zu geben. Er meinte, alles wäre in Ordnung, und ich werde bald abgeholt. Kurz danach erwischte mich der Chiefmate noch und erzählte mir, der Makler wäre nicht nur Schiffsmakler, sondern gleichzeitig Vertreter für die Fremdenpolizei. Das war es dann wohl, dachte ich, aber die Holländer waren großmütig. Es gab keine weiteren Probleme. Im Frebruar 1967 musste ich dann wieder um eine Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung bangen. Eine letzte Frist wurde mir eingeräumt, dann wäre aber endgültig das Maß voll, wurde mir bedeutet. Irgendwie hatten die Behörden zu Hause wohl ein Einsehen, denn im März war mein Travelpass fertig und sollte in Westberlin abgeholt werden.

Damit war ein Kurzurlaub zu Hause verbunden, bevor ich mich nach Berlin zur Reedereivertretung begab. Ich bekam 15,00 DM Handgeld und wurde zur Grenzübergangsstelle gefahren. Von dort aus durfte ich dann mit der S-Bahn die einzelnen Alliiertenbehörden aufsuchen. Nun kam mir zugute, dass ich vor meiner Seefahrtszeit zwei Jahre lang im randberliner Bereich gearbeitet hatte und mich daher in Berlin einigermaßen gut auskannte. Natürlich waren die wenigen Westmark bald aufgebraucht, denn die Engländer und Franzosen hatten lange Mittagszeiten, ich wollte mich auch etwas verpflegen, und der Tag war lang. Wenn nicht wieder die Tagesgeld-Gulden geholfen hätten, hätte ich wohl zu Fuß über die Grenze zurück laufen müssen. So aber war ich stolzer Besitzer eines internationalen Reisepasses mit den Stempeln der Amerikaner, der Briten und Franzosen. Diesen Pass besitze ich noch heute, obwohl ich mehrmals aufgefordert wurde, ihn bei der zuständigen DSR-Stelle abzuliefern. Aber ein Erinnerungsstück sollte bleiben.

Noch einen Vorteil hatte ich durch dieses Dokument. Von Holland aus schickte die DSR eine kleine Delegation zur Besichtigung von Schiffen nach Le Havre und Antwerpen. Ich durfte als E.-Ing. mitfahren, weil ich einen Travelpass hatte und die Anreise von Dordrecht aus kurz war. Kapitän Witzke, der die "Prignitz" übernehmen sollte, war auch mit von der Partie. Wir sind also mit dem Flieger nach Paris, wo wir für zwei Tage Quartier bezogen. Von dort aus sind wir mit dem Zug nach Le Havre zur Besichtigung eines Schiffes gefahren, das dann aber nicht gekauft wurde. In Paris hatten wir abends ein volles Programm. "Folies Begere", das berühmte Cabarett und der Eiffelturm, die Champs Elysee mit einem Bummel und die Einkehr in das "Cafe de la Paix" waren schon Höhepunkte.

Danach ging es weiter mit dem Flugzeug nach Antwerpen. Dort wartete die "Charlesville" auf uns, die von der DSR gekauft und unter dem Namen "Georg Büchner" für die Ausbildung eingesetzt wurde. Viele Jahre lag die "Georg Büchner" dann als Hotelschiff im Rostocker Stadthafen.

Bevor es zur Besichtigung der "Charlesville" kam, wurden wir noch zu einer Besichtigungstour in die schöne Stadt Gent eingeladen, die wunderbaren alten Bürgerhäuser dort waren überwältigend. Am Abend durften wir als Gäste das Nachtleben von Antwerpen studieren. Als Seemann mit wenig Devisen lernt man diese schöne Stadt auch kennen, aber bei Nacht sieht alles etwas anders aus. Das merkten wir, als wir am nächsten Morgen zur Schiffsbesichtigung aufbrechen wollten und Kapitän Witzke fehlte. Etwas später fuhr ein offenes, dreirädriges Gemüsefahrzeug vor, auf dem zwischen Kohl und Bananen unser Kapitän saß. Ein anderes Taxi wäre nicht greifbar, so sein Argument. Er hatte eine seiner Cousinen besucht. Mir ist noch gut in Erinnerung, daß ich an diesem Vormittag einen fürchterlichen Brand im Hals hatte. Auf dem stillgelegten Dampfer war auch keine Bar oder eine andere Zapfstelle offen. Es gab nicht einen Tropfen zu trinken, nicht einmal Wasser, wenn ich gewollt hätte. Jedenfalls war die Besichtigungstour für mich ein sehr interessanter Abschnitt.

In unserer Bauwerft wurde fleißig gearbeitet, und die Probefahrt rückte heran. Unser Dampfer musste nach Rotterdam überführt werden, von dort aus sollte dann eine eintägige Probefahrt stattfinden. Wie es so üblich ist, kamen fast alle Gewerke mit an Bord, die ihre Arbeit wegen der Probefahrt nicht unterbrechen wollten. Es waren also viele Leute auf dem Schiff. Verpflegung hatte man für den einen Tag mit, am Abend sollten wir ja wieder im Hafen sein. Aber wie das manchmal so ist, es gab ein größeres Problem in der Maschine. Im Schiff war ein 8.600-PS-Zweitakt-Diesel der Firma Storck-Werkspoor eingebaut. Gesteuert wurde der Motor mit einer Steuerkette, die wie eine riesige Fahrradkette aussah. Beim Belastungslauf der Maschine glühten nun einige dieser Kettenglieder und verfärbten sich in allen Blaufarben. Das sah nicht gut aus, das Schiff ging vor Anker, und guter Rat war teuer. Große Hektik bei den verantwortlichen Werft- und Motorenbauern. Ein neues Teilstück für die Kette wurde über Funk angefordert. Ehe dieses Teil angeliefert und danach eingebaut wurde, verging natürlich einige Zeit. Aus dem einen Probefahrtstag wurden so drei. Da mussten für alle Mitreisenden die einfachsten Dinge des Lebens nachgeliefert werden, vom Toilettenpapier bis zur Zahnbürste, Brot, Getränke, und was der Mensch so alles zum Leben braucht. Natürlich waren auch die Schlafmöglichkeiten an Bord begrenzt, das war ein lustiges Zigeunerleben!
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Der Aufbruch des MS "Fläming" in Holland
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"Der Aufbruch des MS 'Fläming' in Holland": Seeleute Rostock e.V., Sept. 2011
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Aber alles geht einmal vorbei, und der Dampfer wurde am 24. Juni 1967 an die DSR übergeben. Wir sind also nach Rostock gedampft, wo uns die nächste Überraschung erwartete. An der Pier standen, neben der regulären Ladung für die Häfen Ostafrikas, jede Menge Kisten, Fässer und andere Behältnisse, die wir an Bord nehmen sollten. Vom Institut für Verpackungsindustrie Leipzig waren Güter angeliefert worden, die auf Tropentauglichkeit getestet werden sollten. Ein Professor Dr. Dr. Pfeifer samt Ehefrau und Mitarbeiter sollten die Exponate begleiten und entsprechende Testreihen anfertigen. Diese Leute mussten untergebracht und ihre umfangreiche Sammlung ebenfalls. Wieviel Teile es insgesamt waren, konnten die Leute auch nicht sagen, die Listen waren unvollständig. Es würden so ca. 6.000 Testartikel sein. Nun ging einer der Mitarbeiter zum Kapitän, um die Unterbringung der Sachen an besonderen Orten anzufordern. Mit den Worten: "Hallo Meister, wo überall können wir unsere Teile hinstellen?" hatte er beim Kapitän gleich einen Volltreffer gelandet. Kapitän Jühlke, der ein älterer, erfahrener, würdiger Mann war, auf Etikette viel Wert legte, freute sich natürlich über diese Anrede und feuerte den Hilfsarbeiter aus seiner Kammer. Er war so erregt, dass er noch beim Mittagessen zitterte und uns diesen Vorfall wutschnaubend erzählte. Damit hatte die Testtruppe vom Anfang der Reise an schlechte Karten beim "Alten".

Während der Reise versuchten die beiden Assistenten, Teile der Besatzung versöhnlicher zu stimmen, indem sie einige Seelords zu Verkostungen einluden. Da gab es dann schon einmal Radeberger oder Wernesgrüner Bier, Schinken und Wurst aus der Dose oder andere Delikatessen, die wir im öffentlichen Handel zu Hause noch nie gesehen hatten. Aber so recht kamen die Leute mit ihrer herablassenden Art bei Hein Seemann nicht an. Anders dagegen der Professor Dr. Dr., er war sehr umgänglich und immer auf der Suche nach seiner Gisela. Besonders abends war Gisi oft verschwunden, es waren ja auch so viele starke Männer an Bord, die nach Frauengesellschaft dürsteten. Gisi wurde auch immer schöner und begehrter, je länger die Reise dauerte. Es war aber auch ein lustiges, entgegenkommendes Mädchen.

Unterwegs in den Tropen passierte es dann schon einmal, dass irgendein Fass oder Kanister dicke Backen machte und den Inhalt in die Luke entließ. Manchmal blähte sich dann die Farbe der näheren Umgebung auf, oder leicht brennige Gerüche entströmten dem Fass. Da von den "Wissenschaftlern" keiner wusste, was in den Behältern war, ließ unser "Alter" die Dinger über Bord werfen. Alles andere, was noch in den Luken deponiert war, wurde an Oberdeck gebracht und dort festgelascht. Da war natürlich wieder Stimmung im Busch.

lm Roten Meer, wir waren auf der Reise nach Jeddah, war an einem ruhigen Sonntag während des Mittagessens plötzlich Totenstille auf dem Schiff. Unser Chief sprang auf und sauste zur Brücke hoch. Wie gesagt, die Hauptmaschine wurde von dort ferngesteuert. Unser Kapitän hatte den Femsteuerhebel der Hauptmaschine von "Voller Fahrt Voraus" auf "Stop" gelegt. Jeder Maschinist weiß, und jeder Nautiker sollte es wissen, dass man so einen großen Motor, der zudem noch mit Schweröl fährt, nicht einfach anhalten kann, sondern langam "runterfahren" muss. Unserem Chief standen seine Bürstenhaare wie Nägel auf dem Kopf, er war außer sich. Unser "Alter" erklärte aber: "Wir wissen nicht, wo wir sind, also musste ich das Schiff stoppen!" Ja, so war das.

Ein weiterer Aufreger war dann die Anlieferung eines Reserveteils in Mombasa. Der Kompensator der Abgasleitung unserer Hauptmaschine war gerissen und musste ausgewechselt werden. So ein Ding kostete einige Tausend Dollar und wurde per Flugzeug aus Europa eingeflogen. Als die große Kiste endlich ankam und an Bord gehievt wurde, fiel sie aus einigen Metern Höhe auf unser Oberdeck. Wer nun schuld war, weiß ich nicht mehr, aber das spielte im Moment keine Rolle, denn der Schreck war riesengroß. Unser Kapitän, der das Manöver beobachtete, bekam einen Herzanfall und musste abgelöst werden. Dem Kompensator ist aber nichts passiert.

Ja, mit unserer Maschine hatten wir noch mehr Probleme, die allerdings auf allen drei Hollandfrachtern auftraten. Es waren die Auslassventile, die ständig durchbrannten. Kleine, oft auch größere Löcher wurden in die Ventilteller gebrannt, die dann die sogenannten "Durchbläser" ergaben. Bei voller Maschinenleistung gab es manchmal täglich diese Ausfälle. Beim Wechsel der Ventile stellten die Wachen immer wieder neue Bestzeiten auf. Natürlich lag der Dampfer für einige Stunden still, bevor er mit 17 Knoten weiter rauschte. Das war zur damaligen Zeit eine gute Geschwindigkeit. Wir mussten auf der Reise nach Ostafrika auch immer um das Kap der guten Hoffnung fahren, weil der Suez-Kanal zu dieser Zeit wegen der Kriegseinwirkungen gesperrt war. Nun passierten diese Stillstandzeiten oft auf dem Törn längs der Westküste Afrikas. Schiffe, die wir am Tag überholt hatten, fuhren nachts, wenn wir wieder einmal wegen einem Ventilwechsel still und friedlich abruhten, an uns vorbei. Das wiederholte sich dann einige Tage, so dass wir einmal die Anfrage bekamen, wieviel Schiffe dieses Typs unsere Reederei denn hätte, alle zwei bis drei Tage würde man von so einem Schiff überholt.

Noch einige andere Begebenheiten sind mir in der Erinnerung geblieben. Wir wollten damals auch eine zünftige Äquatortaufe feiern, als wir zum erstenmal die Linie passierten. Leider kam von der DSR die Order, keineTaufen mehr durchzuführen. Der Kapitän hatte diese Weisung durchzusetzen. Natürlich waren die bereits Getauften und die Taufkandidaten sauer, weil ihnen ein großer Spaß entgehen sollte. Also wurde ein Wasserfest in den Kammern der Matrosen organisiert. Vom Wasser war zwar nicht viel zu sehen, dafür floss der WBS in Strömen. Jeder kennt die Tropentests und ähnliche Feierlichkeiten. Zum Wasserfest gehörte dann auch der Äquatorhaarschnitt. Zu fortgeschrittener Stunde wurden Papierscheren, Nagelscheren und andere Schneidwerkzeuge benutzt, um den Deliquenten die entsprechende Frisur zu verpassen. Am nächsten Morgen waren die Ergebnisse zu besichtigen. Acht oder neun fast glatzköpfige Gestalten, denen teilweise Haarfetzen auf dem Kopf und an den Ohren fehlten, tauchten in der Messe auf. Die Glatzkopfbande war auferstanden.

Auf dem Oberdeck hatten wir auch das beliebte Shuffleboard-Spiel gemalt. Die Spielsucht hatte einige Zeit lang ungeahnte Ausmaße angenommen. Es gab regelrechte Meisterschaften zwischen den einzelnen Mannschaften, die sich gebildet hatten. Selbst in den Mittagspausen wurde gespielt, man musste nur zügig genug essen, damit man einen der begehrten Plätze ergatterte.

Viel Spaß hatten wir auch im Roten Meer, wenn es mit der Barkasse zum Schnorcheln ging. In Jeddah war innerhalb des Hafengebietes ein wunderbares Riff, mit dem herrlichsten Tauchgebiet, das man sich vorstellen kann. Kapitän Zink, der später jahrelang auf der "Fläming" fuhr, hat eine richtige Begeisterung in der Besatzung entfacht. Er hat dann das Schiff auch zu einem schwimmenden Aquarium umgebaut und viele tropische Fische mit nach Rostock gebracht. Einige sind auch in nichtsozialistischen Häfen geblieben, die haben es nicht bis zum Heimathafen geschafft. Holländische Gulden sind ja auch gut anzusehen. Jedenfalls haben wir damals viele Korallen, Muscheln und Schnecken gesammelt. Es stank allerdings immer furchtbar an Bord, wenn das Auskochen dieser Meeresausbeute losging. Einen nicht geringen Schreck bekamen wir allerdings, als wir später in einer Zeitung einen Artikel über die Gefährlichkeit einiger Schnecken und anderer Tiere lasen. Moränen, Mördermuscheln und Kegelschnecken, die wir mit unseren selbstgebauten Brechwerkzeugen traktiert hatten, können ja tödlich sein. Der Stachel der Kegelschnecke, die wir beim Tauchen in unsere Hemden oder Taschen steckten, kann zu Lähmungen und Herzstillstand führen.

Die meisten Mitbringsel wurden dann zu Hause großzügig verschenkt. In der Gewissheit, während der nächsten Reise wieder einige Kartons voller Korallen mitzubringen, habe ich heute selbst nur noch eine kleine Koralle im Besitz. Aber geblieben sind die Erinnerungen an die schöne Zeit auf der "Fläming".
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MS "Fläming" aus Holland für BALTAFRICA
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Ende August 1968 musste ich abmustern, weil die Flottenbereichsleitung mich zur Bauaufsicht nach Wismar delegierte. In der Mathias-Thesen-Werft sollte eine neue Schiffsserie für die Westafrika-Relation gebaut werden. Der erste Dampfer sollte die "Wismar" sein, die nächsten waren dann die "Sonneberg", "Wittenberg" usw. Ab Oktober 1968 begann für mich die Bauaufsicht für die "Wismar", die ich dann im Januar 1969 mit übernommen habe.

Besten Dank an Reiner für seine Story und Fotos!

Fotoshow mit Shadowbox, © 2007-2010 M.J.I. Jackson


"FLÄMING aus Holland": Seeleute Rostock e.V., September 2017

   

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  06.10.2017  
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