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www.seeleute-rostock.de/content/sailorscab/stories/30/msflaeming.htm |
| SlR.sc30 [S3.F4] |
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Reinhard Lachs, Rostock
FLÄMING aus Holland
MS "Fläming" und Bauaufsicht in
Dordrecht/Holland
November 2007
In Ausschnitten erschienen in
"Bordgeschichten"-Ausgaben,
DSR-Seeleute e.V., Freiberg, www.seeleute.de .
Seefahrt ist schön! Noch schöner kann die
Seefahrtszeit sein, wenn man ein neues Schiff bekommt, das in Holland
gebaut wird und man selbst zur Bauaufsicht gehört. Neun Monate in
Holland leben, neun Monate in Dordrecht, das kann man nicht vergessen.
Rotterdam und Amsterdam kennen fast alle Seeleute, aber das kleine Städtchen
Dordrecht im Binnenland ist keine Hafenstadt für große Schiffe. Da
gibt es nur eine Werft und eine kleine Pier für Binnenschiffe. Aber der
Reihe nach.
Die DSR gab in den Niederlanden neben einer größeren Anzahl "Kümos"
auch drei etwas größere Frachter in Auftrag. Die sogenannten "Holland-Frachter"
wurden in Lobith, Hardinxveld und Dordrecht gebaut. Die Übergabe der
"Eichsfeld" war am 12.5.1967, der "Prignitz" am
2.6.1967 und der "Fläming" am 24.6.1967. Die Dampfer hatten
7.500 tdw und sollten eine Geschwindigkeit von 17,7 Knoten erreichen.
Geplantes Einsatzgebiet war Ostafrika. Für alle drei Neubauten wurden
von der DSR schon rechtzeitig die wichtigsten Positionen der späteren
Besatzung für die Bauaufsicht ausgewählt. Neben einer zentralen
Bauaufsicht wurden die Kapitäne, die Chiefs und die E.-Ing.s für die
jeweiligen Schiffe nach Holland beordert. Nun hatte ich das große Glück,
für die "Fläming" nach Dordrecht fahren zu dürfen. Als
Kapitän war Willi Jühlke und als Chief Günter Bethin vorgesehen.
Beide waren schon vor Ort, als ich im September 1966 anreiste. Von Schönefeld
ging es mit einer alten IL-18 nach Amsterdam, mein erster Flug im Leben
überhaupt. Es war schon ein Abenteuer, mit diesem Vogel zu fliegen,
aber ich lebe ja noch. In Dordrecht hatte unsere Bauaufsicht eine kleine
3-Zimmer-Wohnung in einem Neubaugebiet. Kapitän Jühlke wohnte im
Hotel. Mein Chief, der verantwortliche Schiffbauer und ich teilten uns
die recht gemütliche Unterkunft. Zur Werft hin war es eine gute halbe
Stunde Fußweg. Wir hatten uns dann auch um ein "Fiets" - ein
Fahrrad - bemüht, aber davon ließen wir wieder ab. Später stellte man
uns einen kleinen PKW zur Verfügung, mit dem wir Land und Leute
erkunden konnten. Nach Keukenhof, Den Haag, Amsterdam, Madurodam und
anderen sehenswerten Orten sind wir dann an den Wochenenden gefahren.
Die Werft hieß "De Biesbosch" und lag an einem Nebenarm der
Maas. Wir wurden dort sehr freundlich aufgenommen und bekamen ein Büro
zugewiesen. In den ersten Wochen, das Schiff war noch im Rohbau, hatten
wir außer einigen Schiffbauzeichnungen keine weiteren Unterlagen. So
mussten wir die Zeit mit Spaziergängen durch die Werft und über den
langsam wachsenden Dampfer irgendwie verbringen. Wir waren immer froh,
wenn neue Unterlagen von der Bauaufsicht der "Eichsfeld"
kamen. Ansonsten wurde viel Kaffee getrunken, "Douwe Egberts"
- das war unsere Marke. Es war dann manchmal zuviel des Guten. Aber in
der Nähe der Werft war auch eine kleine Kneipe, in der wir manchmal das
gute "Heineken"-Bier oder den "Alten Genever"
probierten. Die Gläser wurden, wie in Holland üblich, bis zum oberen
Glasrand, wenn möglich mit Berg, gefüllt. Da war zu später Stunde
dann schon eine ruhige Hand gefragt.
Die ersten Monate waren relativ ruhig und ohne Probleme vergangen, wenn
nicht an jedem Monatsende die Frage der Verlängerung unserer
Aufentshaltsgenehmigung gestanden hätte. Wir hatten von der
Fremdenpolizei nämlich nur für einen Monat einen Stempel bekommen.
Jedesmal wurden wir gefragt, wann wir denn unseren Reisepass mit den gültigen
Genehmigungen bekommen würden. Damals brauchten wir DDR-Bürger noch
einen internationalen Travelpass, der von den "Alliierten Siegermächten",
Amerika, Großbritanien und Frankreich, abgesegnet war. So etwas hatten
wir natürlich nicht. Wir waren ja froh, ein Seefahrtsbuch mit gültigem
Sichtvermerk unser eigen zu nennen. Also war eine reumütige Haltung und
der Verweis auf unsere Organe in Rostock bei der Fremdenpolizei
angesagt. Bis zum Dezember 1966 durften wir dann in Holland bleiben.
Es war von der DSR für uns im Dezember, vor Weihnachten, noch ein
Lehrgang in Erlangen und Karlsruhe geplant. Wir sollten die neuen
Fernsteuerungen der Hauptmaschine und der Dieselanlagen bei der
Herstellerfirma Siemens kennen lernen. Danach sollten unsere Pässe
fertig sein, und wir mit gültigen Papieren wieder nach Holland
einreisen. Aber jeder, der mit den Praktiken der Reisestelle einmal zu
tun hatte, kennt das Dilemma. Wie oft wurden Seeleute, besonders die der
Ablösebesatzungen oder der Schiffsbesichtigungsgruppe, losgeschickt,
ohne dass sie gültige Papiere hatten. Ein Kollege von mir hat oft in
den Transiträumen verschiedener Flughäfen gesessen, ohne Geld und
Verpflegung. Unser Seefahrtsbuch war eben kein Reisepass, und manche
Staaten waren da nicht so locker wie die Holländer.
Zum Lehrgang nach Erlangen mussten wir die Niederlande verlassen und in
die BRD einreisen. Da machte sich in Rostock keiner große Gedanken. Mit
zwei PKW der Werft und der Bauaufsicht fuhren wir einfach über die
"Grüne Grenze". Es gab da zwar ein Zoll- bzw. Grenzhäuschen,
aber mit einem Stippen an die Mütze wurden unsere Autos durchgewunken.
Wir kennen das ja aus der heutigen Zeit. Damals war das aber schon
zwischen den Holländern und den Bundesdeutschen gängige Praxis. Wir
sind dann auch gut dort angekommen und haben in den acht Tagen einige
Informationen über die neuen Anlagen bekommen. Natürlich war für uns
die Vorweihnachtszeit in Nürnberg auch ein Erlebnis. Die alten
Burganlagen, die großen Kirchen und nicht zuletzt der Christkindlmarkt
waren schon überwältigend. Zumal ich mich noch aus meiner Studienzeit
in Wismar daran erinnern konnte, daß in Nürnberg die gleiche
Nikolaikirche, wie sie in Wismar zu sehen ist, steht. Wir hatten damals
in Wismar einen Deutschlehrer, Martin Müller, oft auf Typ IV- Schiffen
mitgefahren, der uns diese Sachen beigebracht hat. Jedenfalls haben wir
zum Weihnachtfest für unsere Lieben daheim auch kräftig eingekauft,
von einigen Gulden unserer aufgesparten Tagegeldern. So konnten wir alle
dann voller Erwartungen mit dem Zug nach Hause fahren. Es gab da eine
sehr günstige Verbindung zwischen Köln und Rostock. Besser konnte es
nicht gehen. Dachten wir.
Dieser "Interzonenzug" wurde am Grenzübergang bei Hof, natürlich
dann auf DDR-Seite, von unseren Grenz- und Zollorganen kontrolliert. Es
war nachts gegen zwei Uhr, als wir die schweren Schritte und das Knallen
der Abteiltüren vernahmen. Wir wussten, wir sind wieder zu Hause. Unser
Abteil war gut gefüllt, die Plätze waren alle besetzt und die
Kofferablagen übervoll. Nun fing der Spaß an. Jeder kennt die Begrüßungszeremonie
und die Fragen nach den Papieren, den mitgeführten Einreise- und
Zollbescheinigungen, den Devisenanmeldungen und unerlaubt eingeführte
Waren. Es fing mit den Reisepapieren an.
Wir hatten alle unsere Seefahrtsbücher in der Hand und sahen freudig
den Dingen entgegen. Dann setzte das große Kopfschütteln ein. Keine
Einreisepapiere, keine Zollbescheinigung, keine Devisenbescheinigung und
vor allem keine Ausreisepapiere. Nun begann das Frage- und Antwortspiel.
Wo kommen Sie her — aus Nürnberg. Wenn Sie aus Nürnberg kommen, müssen
Sie doch irgendwann dorthin ausgereist sein — nein, eigentlich kommen
wir aus den Niederlanden. Wie jetzt, wie kommen Sie von den Niederlanden
nach Nürnberg — über die Grenze mit dem PKW. Wie kommen Sie ohne
Papiere über die Grenze — es hat keiner danach gefragt. Wie kommen
Sie überhaupt nach Holland — mit dem Schiff, wir bauen dort ein neues
Schiff. Dann benötigen Sie doch auch Ausreisepapiere — ja, unser
Seefahrtsbuch. Sie müssen doch einen Ausreisestempel oder andere
Papiere haben — Stempel haben wir noch nicht, das Schiff ist ja noch
nicht fertig. Aber einen Kapitän müssen Sie doch haben, der einen
Schiffsstempel hat — ja, einen Kapitän haben wir, dort am Fenster
sitzt er. Kapitän Jühlke konnte aber keinen Stempel vorweisen.
Das alles war den Grenzern unverständlich. So wurden die Seefahrtsbücher
eingesammelt und der Gang zum Vorgesetzten angetreten. Mehrmals kam dann
ein Grenzer zurück, um Nachfragen zu stellen. Leute, die in die DDR
einreisen wollten, keine ordentlichen Papiere vorweisen konnten, das gab
es an dieser Grenze noch nicht. Zum Glück traten wir ja im Rudel auf,
da musste also doch etwas Wahres an der Geschichte dran sein. Die Zeit
verging, die eine Stunde Kontrollzeit für den Zug war vorbei. Die Zöllner
wussten auch nicht, was sie mit uns machen sollten, sie gingen einfach
an unserem Abteil vorbei. Sollten sich doch erst einmal die "Grünen"
mit den Subjekten befassen und einig werden. Kurz vor der Weiterfahrt
des Zuges kam dann ein Grenzer mit unseren Seefahrtsbüchern, schrieb
sich auf einem Notizzettel, den er aus irgendeinem Buch herausriss,
unsere Heimatadressen auf und sagte: "Nun, bis Berlin kommen Sie
erst einmal." Damit war die Grenzpassage abgeschlossen. Unsere bis
zum Platzen vollgepackten Koffer und Taschen und den Rest der
Gulden-Tagegelder brachten wir so unkontrolliert zum Weihnachtsfest nach
Hause. In Berlin kümmerte sich kein Mensch mehr um uns. Die Grenzer
waren wohl mehr erleichtert als wir, dass dieser Grenzdurchbruch einiger
Seeleute ohne Nachspiel blieb.
Weihnachten verging, und ich wartete auf meinen Reisepass. Der Kapitän
und der Chief hatten ihre Pässe bekommen und fuhren mit dem Zug nach
Dordrecht zurück. Ich bekam in der Reederei die Information, dass an
meinem Pass in Berlin gearbeitet würde. Wie lange das dauern würde,
konnte keiner sagen. Ich sollte deshalb mit einem Schiff der DSR nach
Rotterdam und von dort nach Dordrecht fahren. Im Wismarer Hafen lag die
"Condor", die heute als Jugendschiff "Likedeeler" in
Rostock-Schmarl liegt. Ich meldete mich also beim Kapitän mit meinem
Anliegen. Außer meinem Seefahrtsbuch hatte ich natürlich keine
weiteren Unterlagen. Da auf diesem Schiff kein E.-Ing. in der
Musterrolle aufgeführt war, ich auch keine Musterung hatte, lehnte der
Kapitän meine Mitreise ab. Wie sollte er mich auch nach Rotterdam
einschmuggeln, als blinden Passagier etwa? Mir blieb nichts übrig, als
wieder nach Rostock zur Reederei zu fahren. Dort gab es dann lange
Telefonate. Der "Condor"-Kapitän bekam dann wohl von einer
wichtigen Abteilung die Order, mich mitzunehmen. Ich musste mich als
E.-Ingenieur für die "Condor" mustern lassen und bin wieder
nach Wismar gefahren. Mit offenen Armen wurde ich dort natürlich nicht
empfangen.
Da ich vor Weihnachten nicht offiziell aus Holland ausgereist bin,
konnte ich jetzt nicht einfach so wieder einreisen. Deshalb bekam ich in
Rostock die Order, mich bei meiner Ankunft in Rotterdam nicht bei der
Fremdenpolizei zu melden. Ein Vertreter der Maklerfirma Pakhuismeesteren
würde mich abholen und nach Dordrecht bringen. Nach dem Einlaufen in
Rotterdam fand ich den Makler dann beim Chiefmate in der Kammer und
meldete mich mit dem Hinweis, der Fremdenpolizei keine Information zu
geben. Er meinte, alles wäre in Ordnung, und ich werde bald abgeholt.
Kurz danach erwischte mich der Chiefmate noch und erzählte mir, der
Makler wäre nicht nur Schiffsmakler, sondern gleichzeitig Vertreter für
die Fremdenpolizei. Das war es dann wohl, dachte ich, aber die Holländer
waren großmütig. Es gab keine weiteren Probleme. Im Frebruar 1967
musste ich dann wieder um eine Verlängerung meiner
Aufenthaltsgenehmigung bangen. Eine letzte Frist wurde mir eingeräumt,
dann wäre aber endgültig das Maß voll, wurde mir bedeutet. Irgendwie
hatten die Behörden zu Hause wohl ein Einsehen, denn im März war mein
Travelpass fertig und sollte in Westberlin abgeholt werden.
Damit war ein Kurzurlaub zu Hause verbunden, bevor ich mich nach Berlin
zur Reedereivertretung begab. Ich bekam 15,00 DM Handgeld und wurde zur
Grenzübergangsstelle gefahren. Von dort aus durfte ich dann mit der
S-Bahn die einzelnen Alliiertenbehörden aufsuchen. Nun kam mir zugute,
dass ich vor meiner Seefahrtszeit zwei Jahre lang im randberliner
Bereich gearbeitet hatte und mich daher in Berlin einigermaßen gut
auskannte. Natürlich waren die wenigen Westmark bald aufgebraucht, denn
die Engländer und Franzosen hatten lange Mittagszeiten, ich wollte mich
auch etwas verpflegen, und der Tag war lang. Wenn nicht wieder die
Tagesgeld-Gulden geholfen hätten, hätte ich wohl zu Fuß über die
Grenze zurück laufen müssen. So aber war ich stolzer Besitzer eines
internationalen Reisepasses mit den Stempeln der Amerikaner, der Briten
und Franzosen. Diesen Pass besitze ich noch heute, obwohl ich mehrmals
aufgefordert wurde, ihn bei der zuständigen DSR-Stelle abzuliefern.
Aber ein Erinnerungsstück sollte bleiben.
Noch einen Vorteil hatte ich durch dieses Dokument. Von Holland aus
schickte die DSR eine kleine Delegation zur Besichtigung von Schiffen
nach Le Havre und Antwerpen. Ich durfte als E.-Ing. mitfahren, weil ich
einen Travelpass hatte und die Anreise von Dordrecht aus kurz war. Kapitän
Witzke, der die "Prignitz" übernehmen sollte, war auch mit
von der Partie. Wir sind also mit dem Flieger nach Paris, wo wir für
zwei Tage Quartier bezogen. Von dort aus sind wir mit dem Zug nach Le
Havre zur Besichtigung eines Schiffes gefahren, das dann aber nicht
gekauft wurde. In Paris hatten wir abends ein volles Programm.
"Folies Begere", das berühmte Cabarett und der Eiffelturm,
die Champs Elysee mit einem Bummel und die Einkehr in das "Cafe de
la Paix" waren schon Höhepunkte.
Danach ging es weiter mit dem Flugzeug nach Antwerpen. Dort wartete die
"Charlesville" auf uns, die von der DSR gekauft und unter dem
Namen "Georg
Büchner" für die Ausbildung eingesetzt wurde. Viele Jahre lag
die "Georg Büchner" dann als Hotelschiff im Rostocker
Stadthafen.
Bevor es zur Besichtigung der "Charlesville" kam, wurden wir
noch zu einer Besichtigungstour in die schöne Stadt Gent eingeladen,
die wunderbaren alten Bürgerhäuser dort waren überwältigend. Am
Abend durften wir als Gäste das Nachtleben von Antwerpen studieren. Als
Seemann mit wenig Devisen lernt man diese schöne Stadt auch kennen,
aber bei Nacht sieht alles etwas anders aus. Das merkten wir, als wir am
nächsten Morgen zur Schiffsbesichtigung aufbrechen wollten und Kapitän
Witzke fehlte. Etwas später fuhr ein offenes, dreirädriges Gemüsefahrzeug
vor, auf dem zwischen Kohl und Bananen unser Kapitän saß. Ein anderes
Taxi wäre nicht greifbar, so sein Argument. Er hatte eine seiner
Cousinen besucht. Mir ist noch gut in Erinnerung, daß ich an diesem
Vormittag einen fürchterlichen Brand im Hals hatte. Auf dem
stillgelegten Dampfer war auch keine Bar oder eine andere Zapfstelle
offen. Es gab nicht einen Tropfen zu trinken, nicht einmal Wasser, wenn
ich gewollt hätte. Jedenfalls war die Besichtigungstour für mich ein
sehr interessanter Abschnitt.
In unserer Bauwerft wurde fleißig gearbeitet, und die Probefahrt rückte
heran. Unser Dampfer musste nach Rotterdam überführt werden, von dort
aus sollte dann eine eintägige Probefahrt stattfinden. Wie es so üblich
ist, kamen fast alle Gewerke mit an Bord, die ihre Arbeit wegen der
Probefahrt nicht unterbrechen wollten. Es waren also viele Leute auf dem
Schiff. Verpflegung hatte man für den einen Tag mit, am Abend sollten
wir ja wieder im Hafen sein. Aber wie das manchmal so ist, es gab ein größeres
Problem in der Maschine. Im Schiff war ein 8.600-PS-Zweitakt-Diesel der
Firma Storck-Werkspoor eingebaut. Gesteuert wurde der Motor mit einer
Steuerkette, die wie eine riesige Fahrradkette aussah. Beim
Belastungslauf der Maschine glühten nun einige dieser Kettenglieder und
verfärbten sich in allen Blaufarben. Das sah nicht gut aus, das Schiff
ging vor Anker, und guter Rat war teuer. Große Hektik bei den
verantwortlichen Werft- und Motorenbauern. Ein neues Teilstück für die
Kette wurde über Funk angefordert. Ehe dieses Teil angeliefert und
danach eingebaut wurde, verging natürlich einige Zeit. Aus dem einen
Probefahrtstag wurden so drei. Da mussten für alle Mitreisenden die
einfachsten Dinge des Lebens nachgeliefert werden, vom Toilettenpapier
bis zur Zahnbürste, Brot, Getränke, und was der Mensch so alles zum
Leben braucht. Natürlich waren auch die Schlafmöglichkeiten an Bord
begrenzt, das war ein lustiges Zigeunerleben! |
Der Aufbruch des MS "Fläming"
in Holland |
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"Der Aufbruch des MS 'Fläming' in
Holland": Seeleute Rostock e.V., Sept. 2011 |
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Aber alles geht
einmal vorbei, und der Dampfer wurde am 24. Juni 1967 an die DSR übergeben.
Wir sind also nach Rostock gedampft, wo uns die nächste Überraschung
erwartete. An der Pier standen, neben der regulären Ladung für die Häfen
Ostafrikas, jede Menge Kisten, Fässer und andere Behältnisse, die wir
an Bord nehmen sollten. Vom Institut für Verpackungsindustrie Leipzig
waren Güter angeliefert worden, die auf Tropentauglichkeit getestet
werden sollten. Ein Professor Dr. Dr. Pfeifer samt Ehefrau und
Mitarbeiter sollten die Exponate begleiten und entsprechende Testreihen
anfertigen. Diese Leute mussten untergebracht und ihre umfangreiche
Sammlung ebenfalls. Wieviel Teile es insgesamt waren, konnten die Leute
auch nicht sagen, die Listen waren unvollständig. Es würden so ca.
6.000 Testartikel sein. Nun ging einer der Mitarbeiter zum Kapitän, um
die Unterbringung der Sachen an besonderen Orten anzufordern. Mit den
Worten: "Hallo Meister, wo überall können wir unsere Teile
hinstellen?" hatte er beim Kapitän gleich einen Volltreffer
gelandet. Kapitän Jühlke, der ein älterer, erfahrener, würdiger Mann
war, auf Etikette viel Wert legte, freute sich natürlich über diese
Anrede und feuerte den Hilfsarbeiter aus seiner Kammer. Er war so erregt,
dass er noch beim Mittagessen zitterte und uns diesen Vorfall
wutschnaubend erzählte. Damit hatte die Testtruppe vom Anfang der Reise
an schlechte Karten beim "Alten".
Während der Reise versuchten die beiden Assistenten, Teile der Besatzung
versöhnlicher zu stimmen, indem sie einige Seelords zu Verkostungen
einluden. Da gab es dann schon einmal Radeberger oder Wernesgrüner Bier,
Schinken und Wurst aus der Dose oder andere Delikatessen, die wir im öffentlichen
Handel zu Hause noch nie gesehen hatten. Aber so recht kamen die Leute
mit ihrer herablassenden Art bei Hein Seemann nicht an. Anders dagegen
der Professor Dr. Dr., er war sehr umgänglich und immer auf der Suche
nach seiner Gisela. Besonders abends war Gisi oft verschwunden, es waren
ja auch so viele starke Männer an Bord, die nach Frauengesellschaft dürsteten.
Gisi wurde auch immer schöner und begehrter, je länger die Reise
dauerte. Es war aber auch ein lustiges, entgegenkommendes Mädchen.
Unterwegs in den Tropen passierte es dann schon einmal, dass irgendein
Fass oder Kanister dicke Backen machte und den Inhalt in die Luke entließ.
Manchmal blähte sich dann die Farbe der näheren Umgebung auf, oder
leicht brennige Gerüche entströmten dem Fass. Da von den
"Wissenschaftlern" keiner wusste, was in den Behältern war,
ließ unser "Alter" die Dinger über Bord werfen. Alles andere,
was noch in den Luken deponiert war, wurde an Oberdeck gebracht und dort
festgelascht. Da war natürlich wieder Stimmung im Busch.
lm Roten Meer, wir waren auf der Reise nach Jeddah, war an einem ruhigen
Sonntag während des Mittagessens plötzlich Totenstille auf dem Schiff.
Unser Chief sprang auf und sauste zur Brücke hoch. Wie gesagt, die
Hauptmaschine wurde von dort ferngesteuert. Unser Kapitän hatte den
Femsteuerhebel der Hauptmaschine von "Voller Fahrt Voraus" auf
"Stop" gelegt. Jeder Maschinist weiß, und jeder Nautiker
sollte es wissen, dass man so einen großen Motor, der zudem noch mit
Schweröl fährt, nicht einfach anhalten kann, sondern langam
"runterfahren" muss. Unserem Chief standen seine Bürstenhaare
wie Nägel auf dem Kopf, er war außer sich. Unser "Alter" erklärte
aber: "Wir wissen nicht, wo wir sind, also musste ich das Schiff
stoppen!" Ja, so war das.
Ein weiterer Aufreger war dann die Anlieferung eines Reserveteils in
Mombasa. Der Kompensator der Abgasleitung unserer Hauptmaschine war
gerissen und musste ausgewechselt werden. So ein Ding kostete einige
Tausend Dollar und wurde per Flugzeug aus Europa eingeflogen. Als die große
Kiste endlich ankam und an Bord gehievt wurde, fiel sie aus einigen
Metern Höhe auf unser Oberdeck. Wer nun schuld war, weiß ich nicht
mehr, aber das spielte im Moment keine Rolle, denn der Schreck war
riesengroß. Unser Kapitän, der das Manöver beobachtete, bekam einen
Herzanfall und musste abgelöst werden. Dem Kompensator ist aber nichts
passiert.
Ja, mit unserer Maschine hatten wir noch mehr Probleme, die allerdings
auf allen drei Hollandfrachtern auftraten. Es waren die Auslassventile,
die ständig durchbrannten. Kleine, oft auch größere Löcher wurden in
die Ventilteller gebrannt, die dann die sogenannten "Durchbläser"
ergaben. Bei voller Maschinenleistung gab es manchmal täglich diese Ausfälle.
Beim Wechsel der Ventile stellten die Wachen immer wieder neue Bestzeiten
auf. Natürlich lag der Dampfer für einige Stunden still, bevor er mit
17 Knoten weiter rauschte. Das war zur damaligen Zeit eine gute
Geschwindigkeit. Wir mussten auf der Reise nach Ostafrika auch immer um
das Kap der guten Hoffnung fahren, weil der Suez-Kanal zu dieser Zeit
wegen der Kriegseinwirkungen gesperrt war. Nun passierten diese
Stillstandzeiten oft auf dem Törn längs der Westküste Afrikas.
Schiffe, die wir am Tag überholt hatten, fuhren nachts, wenn wir wieder
einmal wegen einem Ventilwechsel still und friedlich abruhten, an uns
vorbei. Das wiederholte sich dann einige Tage, so dass wir einmal die
Anfrage bekamen, wieviel Schiffe dieses Typs unsere Reederei denn hätte,
alle zwei bis drei Tage würde man von so einem Schiff überholt.
Noch einige andere Begebenheiten sind mir in der Erinnerung geblieben.
Wir wollten damals auch eine zünftige Äquatortaufe feiern, als wir zum
erstenmal die Linie passierten. Leider kam von der DSR die Order,
keineTaufen mehr durchzuführen. Der Kapitän hatte diese Weisung
durchzusetzen. Natürlich waren die bereits Getauften und die
Taufkandidaten sauer, weil ihnen ein großer Spaß entgehen sollte. Also
wurde ein Wasserfest in den Kammern der Matrosen organisiert. Vom Wasser
war zwar nicht viel zu sehen, dafür floss der WBS in Strömen. Jeder
kennt die Tropentests und ähnliche Feierlichkeiten. Zum Wasserfest gehörte
dann auch der Äquatorhaarschnitt. Zu fortgeschrittener Stunde wurden
Papierscheren, Nagelscheren und andere Schneidwerkzeuge benutzt, um den
Deliquenten die entsprechende Frisur zu verpassen. Am nächsten Morgen
waren die Ergebnisse zu besichtigen. Acht oder neun fast glatzköpfige
Gestalten, denen teilweise Haarfetzen auf dem Kopf und an den Ohren
fehlten, tauchten in der Messe auf. Die Glatzkopfbande war auferstanden.
Auf dem Oberdeck hatten wir auch das beliebte Shuffleboard-Spiel gemalt.
Die Spielsucht hatte einige Zeit lang ungeahnte Ausmaße angenommen. Es
gab regelrechte Meisterschaften zwischen den einzelnen Mannschaften, die
sich gebildet hatten. Selbst in den Mittagspausen wurde gespielt, man
musste nur zügig genug essen, damit man einen der begehrten Plätze
ergatterte.
Viel Spaß hatten wir auch im Roten Meer, wenn es mit der Barkasse zum
Schnorcheln ging. In Jeddah war innerhalb des Hafengebietes ein
wunderbares Riff, mit dem herrlichsten Tauchgebiet, das man sich
vorstellen kann. Kapitän Zink, der später jahrelang auf der "Fläming"
fuhr, hat eine richtige Begeisterung in der Besatzung entfacht. Er hat
dann das Schiff auch zu einem schwimmenden Aquarium umgebaut und viele
tropische Fische mit nach Rostock gebracht. Einige sind auch in
nichtsozialistischen Häfen geblieben, die haben es nicht bis zum
Heimathafen geschafft. Holländische Gulden sind ja auch gut anzusehen.
Jedenfalls haben wir damals viele Korallen, Muscheln und Schnecken
gesammelt. Es stank allerdings immer furchtbar an Bord, wenn das
Auskochen dieser Meeresausbeute losging. Einen nicht geringen Schreck
bekamen wir allerdings, als wir später in einer Zeitung einen Artikel über
die Gefährlichkeit einiger Schnecken und anderer Tiere lasen. Moränen,
Mördermuscheln und Kegelschnecken, die wir mit unseren selbstgebauten
Brechwerkzeugen traktiert hatten, können ja tödlich sein. Der Stachel
der Kegelschnecke, die wir beim Tauchen in unsere Hemden oder Taschen
steckten, kann zu Lähmungen und Herzstillstand führen.
Die meisten Mitbringsel wurden dann zu Hause großzügig verschenkt. In
der Gewissheit, während der nächsten Reise wieder einige Kartons voller
Korallen mitzubringen, habe ich heute selbst nur noch eine kleine Koralle
im Besitz. Aber geblieben sind die Erinnerungen an die schöne Zeit auf
der "Fläming". |
MS "Fläming" aus
Holland für BALTAFRICA |
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Ende August
1968 musste ich abmustern, weil die Flottenbereichsleitung mich zur
Bauaufsicht nach Wismar delegierte. In der Mathias-Thesen-Werft sollte
eine neue Schiffsserie für die Westafrika-Relation gebaut werden. Der
erste Dampfer sollte die "Wismar"
sein, die nächsten waren dann die "Sonneberg",
"Wittenberg" usw. Ab Oktober 1968 begann für mich die
Bauaufsicht für die "Wismar", die ich dann im Januar 1969 mit
übernommen habe. |
Besten Dank an Reiner für seine Story und
Fotos!
Fotoshow mit Shadowbox, © 2007-2010 M.J.I.
Jackson
"FLÄMING aus Holland": Seeleute Rostock
e.V., September 2017
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06.10.2017 |
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"Tradi" - Fakten
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