In den achtziger Jahren bestand die DSR-Kühlschiffflotte
aus 10 Schiffen. Normalerweise wurden mit ihnen kubanische Orangen in
die DDR transportiert, manchmal auch Bananen aus Mittelamerika. Im
Sommer war immer Flaute für die Kühlschiffe, denn die Ernte in Kuba
war noch nicht so weit. In diesen Monaten wurden die Schiffe oft für
andere Aufgaben verchartert. Von einer dieser Reisen im Jahre 1986 mit
der "Heinrich Heine" unter Kapitän Wolffgram, genannt Mütze,
möchte ich berichten.
Am 11. Mai verließ die "Heinrich Heine" (s. Anm.) den Rostocker
Heimathafen mit Order Brest in Frankreich via NOK, ausgerüstet für
zwei Monate.
In Brest wurden nach Einlaufen am 13. Mai in den darauf folgenden acht
Tagen 2.300 t tiefgefrorene Hähnchen geladen mit Bestimmungshafen
Luanda in Angola.
Auf dieser Reise sollte auch der Äquator überquert werden. Dies kam
bei den normalerweise bedienten Fahrtgebieten so gut wie nie vor. Kapitän
und Crew ließen sich die Chance natürlich nicht nehmen und
organisierten eine zünftige Äquatortaufe, die es in sich hatte. So
mancher Täufling wird sich vielleicht noch an das Procedere erinnern.
Abends wurde dann der Abschluss mit einem zünftigen Bordfest gefeiert.
Je näher sich das Schiff Angola näherte, umso nervöser wurde
unser Kapitän. Das manifestierte sich in ewig langen Bordversammlungen
und Belehrungen. Er ahnte wohl schon, was uns dort erwarten würde.
Angola war in den achtziger Jahren vom Bürgerkrieg gezeichnet.
Offiziell regierte die Partei MPLA den afrikanischen Staat. Bis auf die
Hauptstadt Luanda war das Land aber in den Händen der UNITA-Rebellen
unter Führung von Jonas Savimbi.
Die Situation für die Schifffahrt war extrem gefährlich, wie der
Minenangriff auf das DSR-Schiff "Arendsee" zeigte. Am
30.07.1984 wurden mehrere Haftminen von Kampftauchern im Hafen Luanda
unter Wasser an der Außenhaut des Schiffes befestigt und zur Zündung
gebracht. Trotz aller Bemühungen konnte das gerade mal sechs Jahre
alte Schiff nicht gerettet werden. Es wurde am 24.08.1984 von
Schleppern ins tiefe Wasser gezogen und versenkt.
Am 1. Juni 1986 9:00 Uhr fiel der Anker auf Reede Luanda. Zwei Tage später
ging es an die Pier. Im Hafen selber lagen zu dem Zeitpunkt zwei
sowjetische Schiffe und kleinere Marineboote. Die sowjetischen Schiffe
löschten Kriegsgerät vom Panzer bis zur Munition. Die Hafenlagerflächen
waren voll belegt davon. Außerdem gammelte Solidaritätsladung unter
freiem Himmel, schutzlos den tropischen Regenfällen ausgeliefert, vor
sich hin. Niemand schien mit diesen Waren etwas anfangen zu können.
Als die Nacht hereinbrach, begaben sich sowjetische Soldaten in
Schlauchboote und begannen Granaten gegen die Kampfschwimmer in die
Hafenbucht zu werfen. Kapitän Wolfgram kontaktierte eines der
sowjetischen Schiffe und organisierte ebenfalls Granaten für die
"Heinrich Heine". Am folgenden Tag hielt ein sowjetischer
Jeep an der Gangway und brachte mehrere Kisten dieser explosiven
Waffen. Diese nahm der Kapitän persönlich in seiner Kammer unter
Verschluss. Ich bin mir heute sicher, dies war mit der Reederei niemals
abgesprochen. Mit den nautischen Offizieren wurde dann abends durch den
Kapitän eine Art Vergatterung durchgeführt. Sie erhielten dabei die
Granaten für Ihre Nachtwache, die die Wachhabenden bei Dunkelheit in
unregelmäßigen Abständen ins Wasser zu werfen hatten. In meiner
Kammer klang es immer so, als ob jemand mit einem großen
Vorschlaghammer gegen den Schiffskörper schlug.
Die Löscharbeiten gestalteten sich äußerst zäh und mühsam.
Meistens wurde nur ein offener 40'-Container pro Tag geschafft. Gingen
die letzten Paletten an Land, waren in der Zwischenzeit die ersten gelöschten
Hühner wieder aufgetaut und gackerten.
Obwohl zwei bewaffnete Soldaten das Löschen der Ladung an Land
bewachten, wurde die letzte Hiev gegen 18 Uhr regelmäßig geplündert.
Um diese Zeit versammelte sich die ganze wachfreie Besatzung an der
Reling, um diesem Spektakel beizuwohnen. Ungewöhnlich viele Menschen
hielten sich zu dem Zeitpunkt auf der Pier auf. War die Hiev am Boden,
schnappte sich jeder einen Karton und verschwand schleunigst im
Dschungel des Hafens.
Unser Agent hat uns erzählt, dass von den 2.300 t gelöschter Tiefkühlhähnchen
etwa 200 t auf dem Weg ins Kühlhaus verlustig gegangen sind. Dafür
gab es auf den zahlreichen Märkten in Luanda französische Brathähnchen
in ausreichender Menge im Angebot.
In den achtziger Jahren unterstützte die DDR mehrere afrikanische
Staaten, obwohl es im eigenen Land selber genug ökonomische Probleme
gab. In Luanda betrieb die FDJ einen Reparaturstützpunkt für LKW vom
Typ W-50. Gleichzeitig wurden dort Einheimische ausgebildet, um diesen
Reparaturjob irgendwann mal selbst übernehmen zu können. Desweiteren
waren viele DDR-Lehrer in Angola tätig, um Lehrer auszubilden und das
Bildungssystem weiter zu entwickeln. Versorgt wurden diese DDR-Bürger
in der Regel durch Schiffe der DSR. Diese kamen aber nicht immer nach
Bedarf. Es herrschte ständig Mangel, vor allem an Nahrungsmitteln.
Unser Kapitän gab deshalb Lebensmittel ab, soweit vertretbar. Außerdem
hatten wir auch Ladungsschäden bei den Hühnern, die natürlich nicht
vernichtet wurden. Die DDR-Entwicklungshelfer hatten im Gegenzug einen
kleinen Fuhrpark zur Verfügung, der nun auch unserer Besatzung zugute
kam. Eine klassische WIN-WIN-Situation. So wurden jedes Wochenende
Badefahrten organisiert, die von der Besatzung dankend angenommen
wurden. In dem W-50-Camp der Entwicklungshelfer fanden mehrmals
Grillveranstaltungen statt. Am Horizont hörte man den Geschützdonner
der Front. Die UNITA war nicht weit weg.
Die lange Liegezeit in Luanda hatte noch einen anderen Vorteil für die
fußballbegeisterte Besatzung. Im Juni 1986 fand in Mexiko die Fußball-WM
statt. So konnten wir im lokalen Fernsehen fast alle Spiele verfolgen.
Am 26. Juni 1986 verließ die "Heinrich Heine" Luanda nach
fast vier Wochen Liegezeit mit Kurs auf Mosambik.
Unsere Proviantbestände gingen langsam zur Neige. Die Reederei
versuchte ergebnislos an der afrikanischen Westküste einen Schiffshändler
zu finden, der uns ausrüsten konnte und wollte. So blieb der DSR
nichts weiter übrig, uns in den Apartheidstaat Südafrika zu schicken,
damals ein politisches Unding. Die "Heinrich Heine"
verschwand für drei Tage aus den offiziellen Schiffspositionen der
DSR. Am 30. Juni 1986 wurden wir auf Reede Kapstadt von einem Schiffshändler
mittels Barkasse ausgerüstet. Danach ging es uns richtig gut.
Am 3. Juli wurden unsere Leinen im Hafen von Beira festgemacht.
Auch in Mosambik herrschte seit 1977 Bürgerkrieg. Die Hauptstadt
Maputo und die nördlich gelegene Stadt Beira wurden von der gewählten
FRELIMO regiert. Die Rebellen der RENAMO aber hatten das ganze Land in
Chaos und Anarchie gestürzt. Diese Banden haben immer wieder die
Verbindungen zwischen beiden Städten zerstört, um die Versorgung der
400.000-Einwohnerstadt Beira mit Lebensmitteln zu unterbinden. Ziel war
es, die Menschen dort auszuhungern. Auch hier waren
DDR-Entwicklungshelfer vor Ort, um unter Einsatz des eigenen Lebens der
einheimischen Bevölkerung zu helfen. Bei einem Überfall von Rebellen
auf einen Gleisbautrupp sind dann am 06.12.1984 acht DDR-Bürger ums
Leben gekommen. Daraufhin wurden die Entwicklungshelfer zurück in die
Heimat geflogen.
Die DDR wollte Mosambik trotzdem nicht sich selbst überlassen. Beide
Regierungen vereinbarten daher einen Deal. Fischkutter aus Sassnitz übernahmen
die Versorgung der Bevölkerung von Beira mit Frischfisch, um die
Hungersnot zu beenden. Im Gegenzug erhielt das Fischkombinat Rostock
Lizenzen für den Tiefseegarnelenfang auf dem Festlandschelf. Die
Sassnitzer Fischer betrieben in der Stadt sogar eine Eisfabrik, um den
Fang frisch auf die Märkte zu bringen.
Die "Heinrich Heine" hatte Order, in Beira Grapefruits zu
laden. Die Ladung wurde nur zögerlich angeliefert. Manche Tage
passierte überhaupt nichts, so dass die Besatzung langsam unruhig
wurde. Kapitän Wolffgram hat dann auf einer der vielen
Bordversammlungen verkündet, dass er erst auslaufen werde, wenn die
letzte Grapefruit im Großraum Beira geerntet sein würde. Am 12. Juli
war es dann soweit. Wir haben 10 Tage gelegen, aber kaum Ladung
genommen.
Nächster Hafen war die Hauptstadt Maputo am 13. Juli nachmittags. Für
diesen Anlauf ist unser Schiff vom Fischkombinat Rostock gechartert
worden. Wie bereits berichtet, hatte das Kombinat Lizenzen für den
Tiefseegarnelenfang. 1986 waren drei, speziell für den Garnelenfang
umgerüstete Fangschiffe vor Ort mit den Namen "Herbert
Baum", "Heinz Kapelle" und "Bruno Tesch".
Diese Schiffe verfügten nur über begrenzte Kühlkapazität und
mussten daher Ihre kostbare Ladung regelmäßig abgeben. So kamen diese
Schiffe nacheinander längsseits der "Heinrich Heine", und
die tief gefrosteten Garnelen, abgepackt in 2 kg Paketen, wurden mit
unserem Ladegeschirr innerhalb von fünf Tage übernommen. |
Nächstes Ziel war die Walvis Bay vor Namibia. Dort wurde vom 22.
bis 25. Juli 1986 auf Reede von großen Fang- und Verarbeitungsschiffen
des Fischkombinats Frostware übernommen.
Nun ging es endlich nach Hause. Unterwegs im Atlantischen Ozean kam
dann von der Reederei ein Telegramm, indem angewiesen wurde, die
Garnelenladung in Las Palmas zu löschen. Außerdem sollte dort ein
Zinksarg mit den sterblichen Überresten eines im Hospital verstorbenen
DSR-Kapitäns übernommen und nach Rostock überführt werden. Von der
Besatzung hatte ernsthaft niemand geglaubt, dass die Garnelen für den
DDR-Binnenmarkt bestimmt waren. Am 2. August nachmittags kam die
"Heinrich Heine" in Las Palmas an. Innerhalb von sieben
Stunden war das ganze Hafenprogramm abgewickelt, sehr zur Enttäuschung
der meisten Besatzungsmitglieder.
Am 8. August 1986 erreichte das Schiff die Reede Warnemünde. Der Lotse
wartete schon auf uns. Dieses Mal ließen wir den Rostocker Überseehafen
backbord liegen und versegelten direkt in den Fischereihafen in
Marienehe. Fast die ganze Besatzung ging in den Urlaub. Nur für den
Koch und für mich kamen keine Ablöser. So war ich auch die kommende
Charterreise, die das Schiff nach Brasilien führen sollte, wieder an
Bord.
2007 habe ich Kapitän Wolffgram nach 21 Jahren im Hamburger Hafen
wiedergetroffen. Ich war inzwischen Chief auf einem Containerschiff
einer Leeraner Reederei. Kapitän Wolffgram kam im Auftrag der
Hamburger Seeberufsgenossenschaft an Bord meines Schiffes und führte
eine Port State Control (PSC) durch. Als ich aus dem Maschinenraum kam,
wurde ich Zeuge eines lautstarken Disputs im Schiffsoffice zwischen
meinem technischen Inspektor und Herrn Wolffgram. Ich hatte meinen früheren
Kapitän sofort wiedererkannt, und als sich beide Herren etwas beruhigt
hatten, habe ich Ihn angesprochen. Wir haben dann noch lange
miteinander geredet und uns der oben beschriebenen außergewöhnlichen
Reise erinnert.
|