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www.seeleute-rostock.de/content/sailorscab/stories/12/meilenlauf.htm |
| SlR.sc12 [14.F4] |
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Stephan Bohnsack, Rostock
Meilenlauf - mit Stewardessen auf Seebeinen ...
... oder warum man im Dienst immer ernst bleiben sollte
Unser Internet-Kurztitel: Meilenlauf
& Seebeine
Achterschiff der "Edgar André" (vgl. Typ-X)
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Seefahrer wissen, was Meilenlaufen bedeutet. Nach
einer längeren Werftzeit wird die Leistungsfähigkeit der überholten
Maschine auf Herz und Nieren geprüft, wieviel Kraft sie nach der Überholung
entfaltet, und welche Höchstgeschwindigkeit jetzt mit ihr erreicht
werden kann. Natürlich hat man auch ein Auge auf den Verbrauch. Erst
wenn alles reibungslos und ohne Beanstandung funktioniert, die
aufgezeichneten Datenkurven und Diagramme ausgewertet sind, erfolgt die
Abnahme der Schiffsmaschinen durch die Schiffsingenieure der Besatzung.
Eines Tages, Ende der 1960er Jahre, war es auch an Bord unseres
Schiffes, des MS "Edgar Andre", mal wieder soweit. Wir liefen
aus zum Meilenlauf auf der Ostsee, einem Abschnitt der Kadettrinne
zwischen Warnemünde und Rügen. Für die Werftingenieure sicherlich
eine interessante und spannende Abwechslung, aber für sie auch immer
behaftet mit den bangen Fragen, "läuft die Maschine jetzt wie ein
Bienchen, oder ...? Wie reagiert der erneuerte Mechanismus der Kühllast
- und wie die E-Anlage des Bordkranes?"
Alle Mitglieder der Besatzung hatten jetzt reichlich zu tun, denn der
Meilenlauf war schließlich auch abschließender Höhepunkt der
Werftzeit auf der Warnemünder Warnowwerft, der für uns soviel
bedeutete wie: Schiff seeklar machen, an Bord aufzuräumen, Decks,
Laderäume und das Schiffsinnere zu klarieren. Während der Liegezeit
in der Werft wurde von der "Notmannschaft" ja nur das
Notwendigste erledigt. Das Erfreulichste für uns: Die Urlauber der
Stammbesatzung kamen allmählich wieder an Bord zurück, und die eigene
Kombüse arbeitete endlich auch wieder. Das Werftkantinenessen war
damit ab sofort für uns passé. Eigentlich war die Werftverpflegung
nicht schlecht, aber an Bord stand nun mal unser "heimischer"
Herd, und hier essen zu können, war für die Besatzung einfach
bequemer.
In der Mannschaftsmesse wurde am Tag des Meilenlaufes und gleich nach
der mittäglichen Essenausgabe das gesamte Geschirr, Teller, Tassen,
Schüsseln usw. gestapelt, denn Regale und Schränke sollten vor dem
Einräumen einer gründlichen Säuberung unterzogen werden. Alle, vom
technischen bis zum nautischen Personal, waren in Bewegung. Auch Purser
und Stewardessen, die Kombüsenbesatzung sowieso.
Unser Meilenlauf begann mit der Einnordung des Mutterkompasses. Dann
ging es auf die "Rennpiste". Die Ostsee war zu diesem
Zeitpunkt spiegelglatt, Wind war kaum zu spüren, und das Schiff hatte
ohne Ladung nur wenig Tiefgang, würde mit der von
"Bremsmuscheln" befreiten Außenhaut und einer überholten
Maschine nur so "dahinsausen". Was konnte also passieren? Die
Maschinen tuckerten mit hoher Drehzahl vor sich hin, die E-Anlage
funktionierte, die Ingenieure waren zufrieden - als sich dann nach
einiger Zeit die Wendemarke näherte.
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Bei einer Rettungsübung vor oder nach einem
Meilenlauf vor Warnemünde
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Als Manöverrudergänger empfand ich es als
willkommene Abwechslung, für kurze Zeit auf Autopilot schalten zu dürfen,
um im Auftrag des "Alten" die Stewardessen auf das
bevorstehende Wendemanöver des Schiffes hinzuweisen, letztendlich
fuhren wir unter Ballast und mit größtmöglicher Geschwindigkeit. Das
Schiff würde backbordseitig überholen und das Porzellangeschirr
sollte deshalb gesichert werden. In der Mannschaftsmesse war
"Reinschiff" angesagt. Es roch nach Reinigungsmittel, das
Geschirr war säuberlich zum Einräumen gestapelt, unsere Stewardessen
waren gerade mit den Gardinen beschäftigt, als ich Ihnen auftragsgemäß
zur Vorsicht riet und höflich mitteilte, dass der Dampfer gleich auf
Gegenkurs gehen und dabei gewaltig krängen würde. Freundlichkeit, Höflichkeit
und Respekt im Umgang mit anderen bestimmen auch heute noch mein
Handeln. Ich teilte also alles Notwendige mit, allerdings begleitet
durch ein freundliches und zugegebenermaßen vielleicht auch ein wenig
schalkhaftes Lächeln, wie mir aber erst später gesagt wurde. Das
freundliche Lächeln war wohl ein Fehler. Was der bevorstehende
Kurswechsel für sie bedeuten würde, dürfte den Stewardessen aber
nicht fremd gewesen sein, denn sie hatten ja alle schon
"Seebeine". Das wusste sogar die ganze Besatzung.
Auf der Brücke zurück und das Ruder wieder in der Hand kam jetzt an
mich der deutliche Befehl "Hart Backbord"! Ich bestätigte
"Hart Backbord" und lenkte das Schiff befehlsgemäß in die
Richtung. In großem Bogen, wenn auch mit geringerer Drehzahl, aber
immer noch mit guter Geschwindigkeit, bewegte sich das Schiff auf
Gegenkurs, allerdings nicht ohne die vorhergesagte unvermeidbare
Neigung. Auf geradem Kurs gelangten wir nach einiger Zeit auf die Reede
von Warnemünde, um uns hier für kurze Zeit auf Ankerposition zu
begeben. Für mich endlich Gelegenheit, eine Pause einzulegen, natürlich
mit dem dazugehörenden Käffchen.
"Oh Gott, was war das für ein Chaos in der
Mannschaftsmesse." Die vielen Scherben erinnerten eher an einen
Polterabend als an "Reinschiff". Dazwischen lagen Blumenpötte
und knieten wütende Stewardessen am Boden, mit Handfegern, Wischlappen
und Pützen um sich herum. Ich verstand es nicht, hatten die Frauen
sich etwa in die Wolle gekriegt und gegenseitig bearbeitet? Es dauerte
aber nicht lange, und ich war über die Ursache ihrer Wut umfassend
informiert. Ich wäre der Schuldige. Obwohl deutlich auf das Wendemanöver
hinweisend hätte ich "schalkhaft" gelächelt, als ich von
bevorstehenden Krängungen des Schiffes sprach. Sie teilten mir das unnötig
lautstark und in überschwänglicher Weise - fast schreiend - mit. In
dem Moment erschien das ewige Möwengekreische im Gegensatz zum
Geschrei der Stewardessen nur wie ein leises Piepsen.
War es ein Scherz, oder sollten sie, im Angesicht spiegelglatter See
und fast völliger Windstille, meine mit "Lächeln"
abgegebene Warnung über die bevorstehende Krängung des Schiffes etwa
ernst nehmen? Sie hatten sich für ihre eigene Version, die Warnung als
Scherz zu werten, entschieden.
Mit Pausenkaffee war es in dieser Situation für mich nichts. Ich
fragte auch gar nicht erst und zog mich sicherheitshalber zurück.
Seeleute wissen eigentlich, was Meilenlaufen bedeutet. Aber
Stewardessen, wenn auch mit Seebeinen, sollte man das wohl näher erklären.
(So geschehen Ende der 1960er Jahre.)
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Heckansicht der "Edgar André"
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Herzlichen Dank an Stephan
Bohnsack für seine Erzählung und seine Fotos. |
Fotos: Stephan Bohnsack, Rostock
"Meilenlauf & Seebeine": Seeleute
Rostock e.V., Januar 2011
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05.01.2015 |
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"Tradi" - Fakten
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