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Stephan Bohnsack, Rostock

Meilenlauf - mit Stewardessen auf Seebeinen ...

... oder warum man im Dienst immer ernst bleiben sollte

Unser Internet-Kurztitel: Meilenlauf & Seebeine 


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Achterschiff der "Edgar André" (vgl. Typ-X)
   
Seefahrer wissen, was Meilenlaufen bedeutet. Nach einer längeren Werftzeit wird die Leistungsfähigkeit der überholten Maschine auf Herz und Nieren geprüft, wieviel Kraft sie nach der Überholung entfaltet, und welche Höchstgeschwindigkeit jetzt mit ihr erreicht werden kann. Natürlich hat man auch ein Auge auf den Verbrauch. Erst wenn alles reibungslos und ohne Beanstandung funktioniert, die aufgezeichneten Datenkurven und Diagramme ausgewertet sind, erfolgt die Abnahme der Schiffsmaschinen durch die Schiffsingenieure der Besatzung.

Eines Tages, Ende der 1960er Jahre, war es auch an Bord unseres Schiffes, des MS "Edgar Andre", mal wieder soweit. Wir liefen aus zum Meilenlauf auf der Ostsee, einem Abschnitt der Kadettrinne zwischen Warnemünde und Rügen. Für die Werftingenieure sicherlich eine interessante und spannende Abwechslung, aber für sie auch immer behaftet mit den bangen Fragen, "läuft die Maschine jetzt wie ein Bienchen, oder ...? Wie reagiert der erneuerte Mechanismus der Kühllast - und wie die E-Anlage des Bordkranes?"

Alle Mitglieder der Besatzung hatten jetzt reichlich zu tun, denn der Meilenlauf war schließlich auch abschließender Höhepunkt der Werftzeit auf der Warnemünder Warnowwerft, der für uns soviel bedeutete wie: Schiff seeklar machen, an Bord aufzuräumen, Decks, Laderäume und das Schiffsinnere zu klarieren. Während der Liegezeit in der Werft wurde von der "Notmannschaft" ja nur das Notwendigste erledigt. Das Erfreulichste für uns: Die Urlauber der Stammbesatzung kamen allmählich wieder an Bord zurück, und die eigene Kombüse arbeitete endlich auch wieder. Das Werftkantinenessen war damit ab sofort für uns passé. Eigentlich war die Werftverpflegung nicht schlecht, aber an Bord stand nun mal unser "heimischer" Herd, und hier essen zu können, war für die Besatzung einfach bequemer.

In der Mannschaftsmesse wurde am Tag des Meilenlaufes und gleich nach der mittäglichen Essenausgabe das gesamte Geschirr, Teller, Tassen, Schüsseln usw. gestapelt, denn Regale und Schränke sollten vor dem Einräumen einer gründlichen Säuberung unterzogen werden. Alle, vom technischen bis zum nautischen Personal, waren in Bewegung. Auch Purser und Stewardessen, die Kombüsenbesatzung sowieso.

Unser Meilenlauf begann mit der Einnordung des Mutterkompasses. Dann ging es auf die "Rennpiste". Die Ostsee war zu diesem Zeitpunkt spiegelglatt, Wind war kaum zu spüren, und das Schiff hatte ohne Ladung nur wenig Tiefgang, würde mit der von "Bremsmuscheln" befreiten Außenhaut und einer überholten Maschine nur so "dahinsausen". Was konnte also passieren? Die Maschinen tuckerten mit hoher Drehzahl vor sich hin, die E-Anlage funktionierte, die Ingenieure waren zufrieden - als sich dann nach einiger Zeit die Wendemarke näherte.
  
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   Bei einer Rettungsübung vor oder nach einem Meilenlauf vor Warnemünde
   
Als Manöverrudergänger empfand ich es als willkommene Abwechslung, für kurze Zeit auf Autopilot schalten zu dürfen, um im Auftrag des "Alten" die Stewardessen auf das bevorstehende Wendemanöver des Schiffes hinzuweisen, letztendlich fuhren wir unter Ballast und mit größtmöglicher Geschwindigkeit. Das Schiff würde backbordseitig überholen und das Porzellangeschirr sollte deshalb gesichert werden. In der Mannschaftsmesse war "Reinschiff" angesagt. Es roch nach Reinigungsmittel, das Geschirr war säuberlich zum Einräumen gestapelt, unsere Stewardessen waren gerade mit den Gardinen beschäftigt, als ich Ihnen auftragsgemäß zur Vorsicht riet und höflich mitteilte, dass der Dampfer gleich auf Gegenkurs gehen und dabei gewaltig krängen würde. Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt im Umgang mit anderen bestimmen auch heute noch mein Handeln. Ich teilte also alles Notwendige mit, allerdings begleitet durch ein freundliches und zugegebenermaßen vielleicht auch ein wenig schalkhaftes Lächeln, wie mir aber erst später gesagt wurde. Das freundliche Lächeln war wohl ein Fehler. Was der bevorstehende Kurswechsel für sie bedeuten würde, dürfte den Stewardessen aber nicht fremd gewesen sein, denn sie hatten ja alle schon "Seebeine". Das wusste sogar die ganze Besatzung.

Auf der Brücke zurück und das Ruder wieder in der Hand kam jetzt an mich der deutliche Befehl "Hart Backbord"! Ich bestätigte "Hart Backbord" und lenkte das Schiff befehlsgemäß in die Richtung. In großem Bogen, wenn auch mit geringerer Drehzahl, aber immer noch mit guter Geschwindigkeit, bewegte sich das Schiff auf Gegenkurs, allerdings nicht ohne die vorhergesagte unvermeidbare Neigung. Auf geradem Kurs gelangten wir nach einiger Zeit auf die Reede von Warnemünde, um uns hier für kurze Zeit auf Ankerposition zu begeben. Für mich endlich Gelegenheit, eine Pause einzulegen, natürlich mit dem dazugehörenden Käffchen.

"Oh Gott, was war das für ein Chaos in der Mannschaftsmesse." Die vielen Scherben erinnerten eher an einen Polterabend als an "Reinschiff". Dazwischen lagen Blumenpötte und knieten wütende Stewardessen am Boden, mit Handfegern, Wischlappen und Pützen um sich herum. Ich verstand es nicht, hatten die Frauen sich etwa in die Wolle gekriegt und gegenseitig bearbeitet? Es dauerte aber nicht lange, und ich war über die Ursache ihrer Wut umfassend informiert. Ich wäre der Schuldige. Obwohl deutlich auf das Wendemanöver hinweisend hätte ich "schalkhaft" gelächelt, als ich von bevorstehenden Krängungen des Schiffes sprach. Sie teilten mir das unnötig lautstark und in überschwänglicher Weise - fast schreiend - mit. In dem Moment erschien das ewige Möwengekreische im Gegensatz zum Geschrei der Stewardessen nur wie ein leises Piepsen.

War es ein Scherz, oder sollten sie, im Angesicht spiegelglatter See und fast völliger Windstille, meine mit "Lächeln" abgegebene Warnung über die bevorstehende Krängung des Schiffes etwa ernst nehmen? Sie hatten sich für ihre eigene Version, die Warnung als Scherz zu werten, entschieden.

Mit Pausenkaffee war es in dieser Situation für mich nichts. Ich fragte auch gar nicht erst und zog mich sicherheitshalber zurück. Seeleute wissen eigentlich, was Meilenlaufen bedeutet. Aber Stewardessen, wenn auch mit Seebeinen, sollte man das wohl näher erklären.

(So geschehen Ende der 1960er Jahre.)
      
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Heckansicht der "Edgar André"
   
Herzlichen Dank an Stephan Bohnsack für seine Erzählung und seine Fotos. 

Fotos: Stephan Bohnsack, Rostock


"Meilenlauf & Seebeine": Seeleute Rostock e.V., Januar 2011

   

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  05.01.2015  
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