Von der Südamerikareise 1961
Die Rückreise des MS "Erfurt" von Südamerika nach
Europa war für mich als "Nicht-Nautiker" wie eine
"Katastrophenreise", warum?
In Buenos Aires hatten wir u.a. 5.000 t ungegerbte Rinderhäute
geladen, eine Lage ungegerbte Rinderhäute, eine Lage Salz, eine
Lage Rinderhäute u.s.w, der ganze Ladevorgang dauerte ca. 14 Tage.
Diese Ladung hatte die Eigenschaft, viel Flüssigkeit abzusondern,
die Laderaumräume mussten laufend gelenzt werden, jedes Mal roch
das gesamte Achterschiff penetrant nach Kuhstall. Dieses aber nur
nebenbei.
Als das Schiff voll beladen war, versuchten wir, auszulaufen.
Dieses gelang aber nicht, da wir fest auf dem Grund lagen. Wir
mussten auf Hochwasser warten. Nachdem endlich wieder Wasser unter
dem Kiel war, begann die Rückreise nach Europa.
Schon nach kurzer Zeit stellten wir fest, dass wir bei dem verunglückten
Auslaufmanöver uns die Backbord-Stevenrohrdichtung zerstört
hatten. Eine Stahltrosse hatte sich in die Abdichtung zwischen
Schiffskörper und der Bb-Welle verkeilt, dadurch zogen wir eine Ölspur
hinter uns her. Die Bb-Welle wurde stillgelegt und Montevideo als
Nothafen angesteuert. Dort untersuchten Taucher in Verbindung mit
dem Germanischen Lloyd (mein späterer Arbeitgeber) den Schaden.
Unter Beachtung, dass das Schiff voll beladen war, erteilte uns der
GL die Erlaubnis, die Reise nach Europa mit nur einer
funktionierenden Welle durchzuführen. Das Ergebnis war, dass das
Ruder ca. 10 bis 20 Grad gegen gelegt werden musste, damit wir
geradeaus fuhren, je nach Wind und Strömungsverhältnis.
Wer die Ansteuerung nach Montevideo kennt, der weiß, dass neben
der schmalen Einfahrt Sandbänke verborgen sind. Da wir durch das
Gegensteuern in der Navigation gehandicapt waren, dauerte es auch
nicht lange, und wir saßen auf einer Sandbank fest. Angeforderte
Schlepper bekamen uns erst nach zwei Tagen wieder flott. Eine
erneute Taucheruntersuchung im Beisein des GL war erforderlich,
aber wir durften unsere Reise fortsetzen.
Normalerweise benötigt man für die Reise von Montevideo nach
Europa ca. 14 Tage, wir brauchten aber ca. fünf Wochen, denn bei
schwerer See und Wind von vorn kamen wir nur ganz langsam vorwärts.
Eines frühen Morgens wurden wir durch einen Feueralarm geweckt -
was war geschehen? Ein Teil der in den obersten Decks der Laderäume
lagernden Expeller-Ladung hatte sich entzündet (Expeller - Ölpressrückstand
- neigt wie nasses Heu zur Selbstentzündung). Nach dem Einsatz von
Löschgas wurde der betreffende Laderaum kontrolliert, es waren
noch Glutnester vorhanden. Mittels einer Stahlnetzbrook wurde die
entsprechende Ladung von der Besatzung mit Hilfe des Ladegeschirres
entsorgt und weiter ging es.
Auf Grund des langen Seetörns waren das Frischwasser und die
Lebensmittelvorräte fast aufgebraucht und mussten rationiert
werden. Mit knapper Not erreichten wir endlich Europa und steuerten
Gibraltar als Nothafen an. Nachdem wir dort unsere Vorräte aufgefüllt
hatten, konnte die Reise nach Liverpool fortgesetzt werden.
In Liverpool wurden wir auf Grund des Laderaumbrandes während
unserer Überfahrt nach Europa von der englischen Feuerwehr an
einer abgelegenen Pier erwartet. Auf der Fahrt zu dieser Pier
kollidierte das Schiff mit einem Schleusentor, ausgelöst durch den
Betrieb von nur einer Antriebswelle. Die Untersuchung durch die
Feuerwehr ergab, dass alles in Ordnung sei, daraufhin konnte der
Teil der Ladung gelöscht werden, der für England bestimmt war.
Weiter ging die Fahrt nach Rotterdam, wo wir kurz vor Weihnachten
ankamen. An der Pier erwarteten uns bereits einige Lastkraftwagen
der Lederindustrie der DDR, die die Rinderhäute abholen wollten,
damit die Produktion in den entsprechenden Betrieben weiter laufen
konnte. Da es aber Weihnachtszeit war, wurde in dieser Zeit im
Hafen von Rotterdam nicht mehr gearbeitet. Nach einigen
Verhandlungen mit der holländischen Gewerkschaft bekamen wir die
Erlaubnis, die Rinderhäute selbst zu entladen.
Nur wer schon einmal diese oder ähnliche Arbeit gemacht hat, der
weiß, wie schwer das Entladen von Rinderhäuten ist. Das Löschen
der Häute ging nur langsam voran. Uns fehlte einfach die
Erfahrung, wie man so einen Laderaum entlädt, denn nur dann, wenn
das oberste Fell erwischt wurde, ging es weiter. Es war wirklich
eine äußerst schwere Arbeit, aber was wurde nicht alles für
Devisen gemacht, denn wir wurden für diese Tätigkeit extra
entlohnt.
Im Januar kamen wir nach über sechs Monaten glücklich in Rostock
an. Für die Reise nach Südamerika und zurück waren nur drei bis
vier Monate geplant. MS "Erfurt" benötigte dafür aber
mehr als sechs Monate.
Die Passagiere, die wir auf dieser Reise mit an Bord hatten, waren
über diese lange Zeit nicht gerade erbaut und hatten durchgesetzt,
dass sie schon von Rotterdam aus abreisen und nach Hause fahren
durften.
Dies war nur ein kurzer Abriss aus meiner Fahrenszeit.
Jeder, der einmal zu See gefahren ist, der kann bestimmt viel erzählen.
Horst Rothe |